Aqua
weggerissen wurde. Das Glas hatte bis jetzt gehalten. Auf der anderen Seite, da, wo sich die Beifahrertür befunden hatte, schien das Wasser zu kochen. Im Wagen dagegen war das Wasser ruhig, stieg aber stetig. Die drei Speichen des Lenkrads waren längst untergetaucht. Der freie Raum bis zum Dach betrug nur noch wenig mehr als eine Kopfhöhe. Bald würde es vorbei sein. Eva hatte es schon hinter sich.
Das Wasser wurde wärmer. Wie in einer Badewanne, in der aus dem auf dem Boden liegenden Duschschlauch heißes Wasser zulief. Silvana kam problemlos aus der Jacke. Ihre Brille blieb im Pulli hängen, als sie ihn über den Kopf streifte.
Wehrführer Hansen wusste, dass der Einsatzort gut zehn Kilometer entfernt lag. Er musste schnell entscheiden. Natürlich kamen sie mit dem Spritzenfahrzeug über die Straßen zügiger voran, aber bis der gerade im Einsatz befindliche Wagen endlich startklar gewesen wäre, war das Boot längst zu Wasser gelassen.
Fünf Mann, Claudia mitgerechnet, Schwimmwesten, Rettungsringe, er am Steuer. Genug Sprit im Tank. Das ging ihm durch den Kopf, als er bereits die Mannschaft zusammentrommelte.
Es dauerte dann aber doch etwas länger als geplant, bis sie schließlich das kleine Rettungsboot runter zur Mosel geschleppt hatten und endlich ablegen konnten. Zusammen mit der Fließgeschwindigkeit machte das Boot flussabwärts aber dann mächtig Tempo. Hansen musste das Gas zurücknehmen, als sie in der Flussmitte eine Welle so unglücklich erwischten, dass die Schraube kurz aus dem Wasser geriet und im Trockenen aufheulte. Den Gedanken an einen Motorschaden versuchte er zu verdrängen. In dieser Nussschale auf dem tosenden Strom wurde ihm nun selbst bewusst, was er den Jungfeuerwehrleuten während der Ausbildung erzählt hatte: Die Mosel konnte bei Hochwasser bis zu zweihundert Mal mehr Wasser führen als bei Niedrigwasser in heißen Sommern.
Jeweils zwei seiner Mannschaft kauerten links und rechts auf den nassen Bänken. Von den weißen Helmen tropfte der Regen auf den Nackenschutz und die orangefarbenen Schwimmwesten über den schwarzen Einsatzjacken. Alle hielten sich an der niedrigen Reling fest. Wäre einer von den Kritikern aus dem Gemeinderat jetzt hier, würde er sich nicht mehr trauen von einer Vergnügungsfahrt zu sprechen.
Je länger die Fahrt dauerte, um so mehr kam Hansen ins Grübeln. Wenn er in dieser Situation einen Fehler machte, dann gab es erst recht Erklärungsbedarf. Der erste Schnitzer ging auf seine Kappe. Als sie aus dem lang gezogenen Moselbogen auf Kesten zufuhren, fiel es ihm ein: Er hatte versäumt, einen Funkspruch abzusetzen und die Leitstelle über den Einsatz zu informieren. Aber nun musste er sich darauf konzentrieren, sich für die richtige Route zu entscheiden. Hier gab es auf einmal drei zur Auswahl, jeweils gesäumt von Bäumen. Zwei davon hatte das Hochwasser frisch geschaffen. Nicht auszudenken, wenn er das mehr als zehntausend Euro teure Boot auf einer überschwemmten Wiese auf Grund setzte.
Hinter dem Ort waren auf der linken Seite die ersten Blaulichter zu sehen. Die steilen Hänge der Brauneberger Juffer kamen näher und verengten das Flussbett, was eine erhöhte Fließgeschwindigkeit zur Folge hatte. Die Mosel wurde von den Hängen begrenzt und drängte auf der anderen Seite in Richtung der Häuser von Brauneberg.
Die Einsatzfahrzeuge waren so weit wie irgend möglich auf der überfluteten Straße gefahren. Die letzten zweihundert Meter hatten sich Kollegen über den Steilhang oberhalb der überschwemmten Straße durch den Weinberg gekämpft. Erst als das Rettungsboot auf gleicher Höhe war, erkannte Hansen das aus der Flut ragende Autodach. Er fuhr weiter flussabwärts und drehte in einem großen Bogen. Für einen Moment hielt das Boot auf den Hang zu, weil die Strömung es dagegendrängte. Unterhalb der ,Sonnenuhr’ kamen sie dem Weinbergshang bedrohlich nahe. Erst als Hansen Vollgas gab, nahm das Boot Kurs flussaufwärts. Die fünf PS des Motors ließen sie nun nur langsam vorankommen.
Als sie endlich wieder in Höhe der Bergungsstelle angekommen waren, hielten sie auf die Straße zu. Ein Wirbel im Wasser ließ Hansen die Spitze eines überschwemmten Verkehrspfostens ahnen, das Boot schrammte über eine Leitplanke und geriet in Schieflage. Claudia schrie kurz auf und lächelte darauf beschämt. Es war bisher der erste Laut, den er während der Fahrt von seiner Crew gehört hatte. Mit der abgerissenen Tür wirkte das blaue Coupé wie eine
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