Aqualove
aber das musste warten. Mit meiner rechten Hand ergriff ich den Ring und tauchte langsam auf. Als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach, holte ich tief Luft. So tief, dass es sich anfühlte wie mein erster Atemzug überhaupt. Die Luft kratzte in meinem Hals, der sich trocken und spröde anfühlte. Ich wischte mir die Haare aus der Stirn und schloss die Augen.
Wahnsinn. Ich spürte die Rundung des schweren Rings in meiner Handfläche. Eine unerwartet große Ruhe kam über mich. Kein euphorisches Gefühl. Keine grenzenlose Begeisterung darüber, dass ich es geschafft hatte, fünfzig Meter zu tauchen. So mussten sich Zen-Mönche nach einer gelungenen Meditation fühlen. Zehn Atemzüge später öffnete ich die Augen wieder. Wie in Trance stemmte ich mich aus dem Wasser und kletterte mit wackeligen Beinen über den Rand. Erst jetzt merkte ich, wie Luftmangel und nagender Hunger mich erschöpft hatten. Ich musste etwas essen. Irgendetwas von der Größe eines Hirsches.
Ich suchte den Boden nach einem Handtuch ab, konnte aber keines finden. Ich würde eben nass zur Küche gehen. Den Weg zurück zur anderen Seite des Pools traute ich mir kaum noch zu. Mir war schwindelig.
„Suchst du das?“
Ethan stand plötzlich neben mir und hielt mir ein Handtuch hin.
„Ja, danke.“ Ich musste mich räuspern. Unsere Hände berührten sich, als ich nach dem Handtuch griff. Für mich war es mehr als nur eine zufällige Berührung. Es war, als hätte sich ein wackeliger elektrischer Stromkreis plötzlich geschlossen. Das Licht flackerte, aber es war definitiv angeschaltet. Wir schauten uns an, und plötzlich war mir klar, dass mein Widerstand gebrochen war. Das Schweigen hing zwischen uns wie ein dünner Vorhang, als ich mir das Handtuch um die Schultern legte.
„Das war außergewöhnlich“, bemerkte Ethan leise. „Großartig!“
„Ja“, sagte ich schlicht. „Ich bin selbst überrascht.“ Erst da stellte ich fest, dass ich seinen Ring noch in der Hand hielt. „Hier.“ Ich hielt ihm den Ring auf meiner ausgestreckten Hand entgegen.
„Behalte ihn. Du hast ihn rausgeholt. Und jetzt komm!“
Blut
Ich schaute auf den goldenen Reif und steckte ihn mir in Ermangelung einer Hosentasche an meinen rechten Zeigefinger. Hier würde er halten, ohne gleich vom Finger zu rutschen. Ich hatte Ethan noch nicht einmal geküsst, aber ich trug schon seinen Ring. Während Ethan vor mir herlief, betrachtete ich die feine Goldarbeit, eine Art Wellenmuster. Er war besonders und kostbarer als alles, was ich je in der Hand gehalten hatte. Ich durfte ihn nicht einfach behalten, aber jetzt fühlte ich mich zu schlapp, um mich in eine Auseinandersetzung über die Rückgabe des Schmucks verwickeln zu lassen. Ich würde ihn nachher einfach irgendwo im Haus liegen lassen.
Aus der Wärme des Tages heraus betraten wir die Küche, in der die anderen schon aßen und tranken.
„Hey, Nia. Was möchtest du trinken?“, fragte Felix von der anderen Seite eines riesigen Tresens, auf dem ein größeres Buffet aufgebaut war als bei einem Sonntagsbrunch in einem Viersternehotel.
„Eine Cola, bitte.“
„Sie hätte sich eigentlich ein Glas Champagner verdient. Sie hat die fünfzig Meter geschafft.“
„Echt?“ Felix schaute mich ehrlich bewundernd an. „Das ist nicht schlecht für einen ... eine Anfängerin.“
„Ja, das ist auch der Grund, warum ich jetzt kaum noch stehen kann“, bemerkte ich mit demonstrativ heraushängender Zunge.
„Setz dich!“ Ethan hatte mir einen Stehhocker hingeschoben und platzierte sich rechts von mir. Während er mir einen Teller und Besteck gab, versuchte ich eine Entscheidung zu treffen, ob ich mich heute mit zu wenig oder zu viel Essen umbringen wollte. Die anderen verließen nach und nach den Raum. Ich kam mir langsam vor wie ein falsch gepolter Magnet: Wo ich war, wurden die anderen unweigerlich abgestoßen. Nur Venus und Felix blieben und räumten noch ein paar Gläser beiseite.
„Hier, Nia!“
„Danke, Felix, du bist ein Schatz!“ Ich stürzte das mir gereichte Glas nur so runter. Von einer der Platten nahm ich mir eine Scheibe dunkles Brot und ein Stück Käse von der Größe eines Kinderkopfes.
„Reich mir bitte mal das Messer da drüben“, bat ich Ethan.
Italienischer Hartkäse gehörte zu den Dingen, für die ich morden würde. Ich würde eine Laubsäge brauchen, um dieses Stück hier kleinzubekommen.
„Autsch!“ Ich schnappte nach Luft. Das hatte wirklich wehgetan. Langsam sah ich auf
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