Aqualove
fast, als sei ich die Einzige gewesen, die diese Fischmenschen im Wasser für erstaunlich hielt. Die unglaublichen Fähigkeiten im Wasser waren das Einzige, was alle Gäste außer mir zu verbinden schien. Ich stutzte. Vielleicht war es andersherum: Alle anderen waren an diesem Nachmittag normal – nur ich nicht. Aber was bedeutete das?
Wann kamen wir endlich von diesem elenden Boot herunter? Wo würden wir diesen Levent treffen? Hier sah es aus wie am Amazonas. Ein großer Vogel mit einem Schnabel, der länger als sein Körper war, flog dicht über der Wasseroberfläche an uns vorbei. Wir bogen von dem Hauptweg des Flusses, dem wir länger gefolgt waren, in einen Seitenarm ab. Hier sah ich nur noch ab und zu ein kleines Holzhaus am Ufer. Nur mit bunten Hosen bekleidete kleine, dunkelhaarige Kinder winkten uns zu. Mir war nicht danach zumute, aber ich winkte zurück. Noch zweimal bogen wir ab. Der Fluss wurde immer schmaler. Auf dem Hauptarm hätte man vielleicht eine Viertelstunde gebraucht, um von einem Ufer zum anderen zu gelangen. Hier konnten zwei breite Schiffe gerade noch aneinander vorbeikommen. Allerdings war der Fluss an dieser Stelle nicht mehr besonders tief. Ich konnte den Grund mit bloßen Augen erkennen. Das Wasser schien glasklar zu sein – ein für mich ungewohnter Anblick. Es war dunkler geworden, obwohl wir gerade erst Mittagszeit haben konnten. Die dichten grünen Schilfgräser und Bäume fraßen jeden Quadratmeter Himmel. Die Sonne schien, aber man merkte hier nicht viel davon. Hinter ein paar ausladenden Riesenblättern tauchte plötzlich ein Steg auf. Die hölzernen Planken waren schief zusammengenagelt. Cem, der den Außenbordmotor bedient hatte, manövrierte unser Boot an den Anleger.
Carlos, der neben mir gesessen hatte, kletterte zuerst heraus und legte die dünne Leine über einen der Holzpfeiler, die den Steg hielten. Dann reichte er mir die Hand und zog mich hinauf. Vom langen Sitzen war ich völlig verspannt. Ich streckte mich und atmete tief durch, um das flaue Gefühl in meinem Magen loszuwerden. Viel konnte ich nicht erkennen. Der Steg führte weiter durch ein Schilfgrasdickicht bis zu einem Holzhaus, das man aufgrund der Lichtverhältnisse im Hintergrund nur erahnen konnte. Kurz vor dem Dickicht war der Steg zu einer kleinen Plattform ausgebaut, die von einem Dach aus gebundenen Gräsern beschirmt wurde. Von Balken zu Balken waren zwei Hängematten gespannt. Es sah aus wie in einer Werbung für den perfekten Urlaub, all-inclusive – nur dass hier kein Reisender zu sehen war. Der Begriff „Ende der Welt“ wurde hier seiner eigentlichen Bedeutung zugeführt.
Noch während ich die Arme in die Luft gereckt hatte, sah ich einen Mann auf uns zukommen. Das Summen der Insekten und die gelegentlichen Rufe der Vögel untermalten seinen Gang. Ich war vom ersten Moment an gebannt von seiner Gestalt. Er bewegte sich leichtfüßig, als ob er jederzeit ohne Anstrengung losrennen könnte. Seine Kleidung hätte in jedem indischen Ashram Begeisterungsstürme hervorgerufen. Die Hose war aus weitem, rosafarbenem, bereits ziemlich ausgebleichtem und ausgebeultem Baumwollstoff. Er trug ein weißes, langärmliges Hemd, dessen weitgehend geöffnete Knopfleiste eine ansehnliche Behaarung auf einer muskulösen Brust sehen ließ. Die Ärmel waren nachlässig hochgerollt. Seine nackten Füße waren beim Gehen leicht nach außen gerichtet. Am faszinierendsten war sein Gesicht: Er hatte strahlend grüne Augen. So grün, dass es an das Wasser des Flusses erinnerte. Seine gebräunten Züge waren markant, sein breites Lächeln gutmütig und entwaffnend. Seine hellen Rastalocken wippten im Takt seines natürlichen Ganges. Die Falten um seine Augen bewiesen, dass er mindestens Mitte vierzig sein musste. Einen Meter vor uns erwartete ich, dass er stehen bleiben und eine Ansprache halten würde. Stattdessen umarmte er Carlos wie einen lieben Freund und ging ganz unverblümt an mir vorbei, um Cem zu begrüßen. Dann hielten sie kurz ihre geballten Fäuste aneinander und sagten gleichzeitig etwas. Es klang wie „Revolution“. Ich hielt es für ein albernes Männerding. Erst dann wandte er sich zu mir um und sah mich prüfend an. Das musste Levent sein.
„Nia. Man hat mir schon viel von dir erzählt. Aber die Realität übertrifft die Schilderungen bei Weitem. Schwarze Haare, blaue Augen – das ist ungewöhnlich.“
„Levent, nehme ich an. Wenn du willst, dass ich am Leben bleibe, erspare mir weitere
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