Aqualove
konnten nur vermuten, dass Sharks plötzliches Interesse an dir etwas Derartiges bedeutete. Carlos, Venus und ich konnten dir den Grund nicht nennen, weil du uns in deinem normalen Umfeld nie geglaubt hättest. Hey, einer will deinen Körper! Dann gibt es dich nicht mehr. Das hängt keiner von uns an die große Glocke. Und da ist noch ein dritter Grund. Du musst etwas von uns Wassermenschen wissen: Wir sind zutiefst loyal. Alles, was zählt, ist der Schwarm. Die Bedürfnisse Einzelner, Befindlichkeiten und Selbstverwirklichung, das sind Fremdwörter für uns gewesen. Selbst heute fühlt sich jeder von uns dem Schwarm und der Sache des Schwarms verpflichtet. Wie, glaubst du, konnten wir seit zwanzig Jahren die Menschen unterwandern, ohne dass es publik wurde? Ein Leitartikel hätte gereicht, eine politische Partei, eine Revolution, die sich gegen uns gewandt hätte. Aber die Verwandelten haben bisher stillgehalten für alle die, die noch darauf warten, das Wasser zu verlassen. Und sie haben natürlich zu ihrer eigenen Sicherheit stillgehalten. Unsere Loyalität zum Volk, diesen Glauben will keiner von uns verraten. Du bist gewarnt worden, weil deine Freunde dich lieben. Aber offen gegen den Schwarm zu opponieren, das ist für Wassermenschen ein Tabubruch vergleichbar mit Kannibalismus oder Inzest unter Menschen. Du kannst dir vorstellen, dass es mir und anderen Helfern nicht leichtgefallen ist, einen solchen Weg einzuschlagen.“
„Was für einen Weg?“
„Ich war gestern nicht ganz aufrichtig zu dir. Tatsächlich geht das, was ich und meine Freunde leisten, über die Aufgaben dieses Refugiums hier hinaus. Wir sind eine Art Widerstandsgruppe. Klein, aber beharrlich. Ableger gibt es überall auf der Welt. Wenige, aber gut operierende Ableger. Natürlich ist unsere Arbeit diskret. Im Prinzip schützt der Schweigekodex auch unsere Gruppen. In einer Gesellschaft, in der über vieles nicht gesprochen wird, werden auch Revolutionäre totgeschwiegen.“
„Entschuldige. Aber nach einer Revolution sieht das hier nicht aus.“
Levent lächelte. „Immer direkt, was? Tja, du hast natürlich recht. Die eigentliche Show ist schon gelaufen. Wir machen all die Verwandelten nicht mehr menschlich. Aber was würden wir zum momentanen Zeitpunkt mit einer Revolution erreichen? Nicht mehr, als dass sie niedergeschlagen würde. Wir sind zu wenige, zu verstreut.“
1.600.001 Menschen. Viele oder wenige? Es war eine Sache des Blickwinkels.
„Bisher operieren wir geheim und dafür recht effektiv.“
„Du klingst wie der verstoßene Oppositionsführer.“
„Bin ich doch irgendwie auch, oder?“
„Wahrscheinlich habe ich seit Neuestem einen Hang zu Anführertypen.“ Aus mir sprach pure Resignation.
„Es gibt schlimmere Macken, Nia.“
„Wie funktioniert das, Levent, euer Widerstand?“
„Zum Beispiel so wie bei dir. Du weißt nun von unseren guten Kontakten zur Zentrale bei DNAssociated. Wir erfahren von den möglichen Opfern – wir kommen Waterman zuvor.“
„Und dann?“
„Dann wird es schwierig. Natürlich sind mein Refugium und auch die anderen Anlaufstellen keine dauerhaften Lösungen. Meistens versuchen wir, die Menschen irgendwo anders neu einzugliedern. Die gesetzliche Informationspflicht gilt überall. Aber wenn man neu zuzieht, verschafft man sich Zeit bis zur nächsten Blutprobe.“
„Das klingt nach einer Art Zeugenschutzprogramm, nur ohne Schutz.“
„Ein ungerechtes Urteil, wie ich finde. Der Schutz gilt immerhin zeitweise. Die letzten Menschen müssen flexibel bleiben. Das sichert ihr Überleben.“
„Das sichert das Überleben? Flexibilität?! Ich dachte, hier geht es um Menschenleben und nicht um ein Bewerbungsgespräch für einen Job im Niedriglohnsektor. Es gibt keine anderen Ideen, Möglichkeiten?“
„Was bist du: die heilige Inquisition?“
„Nur ein ziemlich verschreckter Mensch, der um sein Leben fürchtet.“
„Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten.“
„Welche?“
Levent schaute mir lange in die Augen. „Lernen wir uns doch erst mal besser kennen, Nia.“ Vielleicht. Großartig. Levent machte zu. Ich kam mir vor wie bei einem Tête-à-Tête mit dem Großmeister der Templer: Die entscheidenden Informationen wurden dem einfachen Volk immer vorenthalten. Offensichtlich wollte er nicht alles vor mir ausbreiten. Ich suchte ein anderes Thema. „Wie kommuniziert ihr miteinander?“
„Unter Wasser müssten wir immer Angst haben, dass andere etwas mitbekommen. Wir machen es
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