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Aqualove

Aqualove

Titel: Aqualove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nola Nesbit
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Stein abrupt auf. Levent stand auf der Kante und zog mich die letzten Schritte hinauf. Was ich hier sah, war atemberaubend. Steil fiel die Steinwand vor uns wieder ab. Wir standen auf einem circa drei Meter breiten, unregelmäßigen Grat. Unter uns strömte ein funkelnder Wasserfall in einer konkaven Linie aus der Wand in einen smaragdgrünen See. Ich hatte Mühe, nicht zu fallen, und kauerte mich sicherheitshalber auf den Boden. Der Wasserfall stürzte mindestens zwanzig Meter in einem schmalen Strahl in die Tiefe. Umgeben war der See von der dichtesten Vegetation. In den Bäumen schimmerten bunte Vögel, die ab und zu von Ast zu Ast flogen. Das Sonnenlicht war gleißend, aber hier oben wehte eine leichte Brise.
    „Warte hier“, sagte Levent und sprang dann ohne weitere Vorwarnung in einem weiten Bogen ins Leere über den Wasserfall hinweg. Er hatte die Arme ausgebreitet und flog mit durchgebogenem Körper fast surrealistisch anmutend durch die Luft auf die grüne Wasserfläche zu. Ich hielt den Atem an und wartete, bis sein Körper wie ein Pfeil senkrecht die Oberfläche durchstieß. Die wenigen Spritzer waren hier oben kaum zu sehen. Atemlos wartete ich. Dann tauchte sein Kopf wieder auf. Er winkte mir zu. Er wirkte winzig klein dort unten.
    Ungefähr zwanzig Minuten später – ich hatte mich auf der schmalen Kante in die Sonne gelegt – schüttelte er seine nassen Haare über mir aus. Ich öffnete die Augen. Im Gegenlicht sah er wie eine moderne Neuinterpretation von Zeus aus. Er wirkte strahlend und vital.
    „Das war sehr beeindruckend“, sagte ich voller Bewunderung.
    „Darum ging es.“ Levent lachte.
    „Abgesehen davon war es irrsinnig und lebensmüde.“
    „Nicht für mich.“ Er klang völlig ernst und legte sich eng neben mich. Viel Platz hatten wir hier oben nicht. Die Strahlen der Sonne luden unsere Körper mit Wärme und neuer Energie auf. Nach einer Weile legte ich mich zu ihm hingewandt auf die Seite, stützte meinen Ellbogen auf und legte den Kopf in meine Hand.
    „Wie macht ihr das, einen Körper bewohnen?“
    Mit geschlossenen Augen antwortete Levent. Seine Brust hob sich beim Atmen nur ganz leicht. „Im Idealfall ziehen wir den noch lebenden Menschen unter Wasser. Dann, wenn der Widerstand nachlässt, ist es wie eine Art Kuss. Ist dieser Kontakt hergestellt, lösen wir uns auf. Es ist unwiderruflich. Dann kann unsere Persönlichkeit mit der des menschlichen Körpers verschmelzen. Vorausgesetzt, unsere DNA passt.“
    Seine Worte waren brutal und poetisch zugleich.
    „Wenn ihr einen Körper bewohnt, was passiert dann mit dem Menschen und mit euch? Was verändert sich?“
    „Es ändern sich zwei entscheidende Sachen. Wir verlieren unseren Körper. Das ist schmerzhaft. Und ihr verliert einen Teil eurer Persönlichkeit. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt. Sie vermischt sich mit der unseren. Es ist eine Art Kompromiss zwischen dem, was beide vorher ausmachte. Die Veränderung ist unauffällig. Keine Veränderung wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Eher eine leichte emotionale Neuausrichtung. Wir klingen wie ihr vorher, wir sprechen wie ihr, wir kleiden uns wie ihr. Es ist wie das innere Überstreifen eines neuen Kleidungsstücks.“
    „Wieso könnt ihr euch immer noch so mühelos, ohne Luft zu holen, unter Wasser bewegen?“
    „Es ist eine Ironie des Schicksals, dass uns diese Fähigkeit auch nach der Menschwerdung erhalten bleibt. Die meisten gehen nicht mehr ins Wasser, weil sie dadurch an das erinnert werden, was sie verloren haben. Andere, so wie Shark, genießen die kurzen Momente, in denen sie zurück zu ihren Wurzeln kommen. Es ist die einzige Möglichkeit, Kontakt mit unserem Volk unter Wasser aufzunehmen.“
    „Wann müsst ihr sterben?“
    „Indem wir Menschen werden, akzeptieren wir auch den menschlichen Kreislauf des Lebens. Wir altern wie Menschen, wir erkranken wie Menschen, wir sterben wie Menschen. Unter Wasser haben wir eine Lebenserwartung von ungefähr hundert Jahren, weshalb es auch so viele von uns gibt. Aber was nutzt ein längeres Leben in einer Umwelt, die uns krank macht und deren Tage gezählt sind?“
    Levent erhob sich. Seine fast meditative Stimmung war wie weggeblasen. „Wir müssen gehen. Ich habe unter Wasser etwas gehört. Es gibt schlechte Nachrichten.“

Gefahr
    Eilig und schweigend traten wir den Rückweg an. Ich verspürte keine Lust, näher nachzufragen, was Levents Worte bedeuteten. Für mich war es nicht der Wonnemonat Mai, es war der Monat der

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