Aqualove
diffundieren konnten. Osmose. Der Meeresboden ist voll von misslungenen Versuchen.“
Ich erinnerte mich an die Schlagzeile der Tageszeitung beim Bäcker: Drei Leichen im See, vielleicht vergiftet. Die hohen Todeszahlen bei Badeunfällen. Alles misslungene Versuche, sich in den Körpern der Menschen einzunisten – grotesk, krank, abstoßend. Jetzt betrachtete ich die Ursachen mit anderen Augen.
Fast beschämt fuhr er fort: „Wir lernten, dass jede Art von Wasser ein guter Leiter ist. Flusswasser, Trinkwasser, Duschwasser, Regenwasser und besonders Meerwasser. Jede Art von Wasser ermöglichte den Wechsel in einen eurer Körper. Aber nicht jeder Körper eignete sich für einen Wechsel. Entscheidend ist eine Übereinstimmung spezieller Sequenzen in eurer DNA mit der unseren. Ethan ist bei uns so etwas wie ein Volksheld. Seine Erkenntnisse haben dazu beigetragen, dass die meisten von uns ihr vergiftetes Umfeld verlassen konnten. Dadurch hat er unglaubliche Macht bekommen.“
Ethan hatte mich vor ein paar Tagen Entführern in die Hände gespielt. Er war verantwortlich dafür, dass es fast keine Menschen mehr gab. Was war das für ein schlechter Film?
„Natürlich gibt es auch in unserem Volk einige, die das Wasser nicht verlassen wollen. Andere wollen das Wasser verlassen, finden aber keinen geeigneten Körper. Du kannst dir also vorstellen, wie begehrt du bist“, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu.
Leider aus den falschen Gründen. „Und was willst du?“
„Ich will dich beschützen. Deshalb habe ich versucht, dich zu warnen.“
Carlos alias Dean in seiner Paraderolle als Kellner. Ich hatte nicht auf ihn hören wollen. „Ich gelte als Aussteiger.“ Levent sah mich an. Er zögerte. „Als ich aus dem Wasser kam, lernte ich noch viele Menschen kennen und erkannte, dass wir nicht das Recht hatten, ihre Existenzen zu rauben. Sie bedrohten uns, aber sie wussten nichts von uns. Ein Unrecht konnte das andere nicht wiedergutmachen. Wir dürfen eure menschlichen Körper nicht stehlen. Seit einigen Jahren versuche ich, den letzten Menschen zu helfen. Ich biete ihnen eine Zuflucht.“
„Aber hier ist niemand außer uns, Carlos und Cem.“
„Die beiden gehörten auch zu meinem Volk. O doch, hier gibt es noch einige andere Menschen. Aber vor deiner Ankunft sind sie ausgeflogen. In ein paar Tagen werden die Ersten wieder zurückkommen.“
Seine melodische, leise Stimme verklang in der Dunkelheit. Ich fühlte mich wie betäubt. Schwebend, verlangsamt. Natürlich war das alles nur eine Geschichte. Unterhaltsam, aber so echt wie die Realityshows im Fernsehen. Ich war ich, und alle um mich herum waren auch Menschen. Sie sahen aus wie Menschen, sprachen und rochen wie Menschen. Levent – er war so menschlich. Keiner konnte etwas anderes behaupten.
Und doch war er kein Mensch.
„Woran erkenne ich, ob jemand noch Mensch ist oder nicht?“ Die Frage klang für mich selbst verrückt.
„Ich bin mittlerweile auch ein Mensch, Nia.“ Levent klang gekränkt. „Aber ich verstehe trotzdem, was du meinst. Es ist auf Anhieb nicht erkennbar. Die einzig verlässliche Gewissheit erhält man erst durch einen DNA-Test. Menschen und Verwandelte sind klar zu unterscheiden. Oder wenn du uns schwimmen siehst.“
„Wenn ich einer der letzten Menschen bin und ihr so viele seid, wie könnt ihr euch weiterentwickeln?“
„Nun, nennen wir es Rohstoffknappheit. Wir arbeiten daran.“
Menschen als Rohstoff. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Meine Frage war jetzt nur noch mechanisch.
„Wenn ihr einen Menschen ‚bewohnt‘, ist das ... unwiderruflich?“
„Ja, das ist es.“
„Ich ... ich gehe jetzt nach oben.“ Hatte er mich gehört?
„Nia, ich weiß, dass das alles furchtbare Nachrichten für dich sind. Ich weiß, dass du das alles nicht glauben kannst. Es ist in Ordnung. Nimm dir Zeit. Denk nach. Lach darüber. Zweifle daran. Komm, ich bringe dich hoch.“
„Geht schon.“ Ich winkte ab und erhob mich schwankend.
„Ich schlafe hier unten. Melde dich, wenn du etwas brauchst.“
Bis heute fehlt mir die Erinnerung, wie ich nach oben gelangt war. Am nächsten Morgen wachte ich mit salzig verklebten Wangen in meinen geliehenen Kleidern auf. Ich war allein. Verraten und verkauft von Ethan. Wo war Alex? „Denk nach, Nia! Denk nach!“ Leben und leben lassen – sie hatte recht gehabt: Es funktionierte nicht. Die Schlacht war geschlagen. Ich vermisste sie mehr als alles andere, obwohl ich niemandem mehr trauen
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