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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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griff nach einem seiner zehn blauen Baumwollhemden mit geknöpftem Kragen. »Ich muss herausfinden, was gespielt wird.«
    »Gute Idee.« Sie schlug die Bettdecke zurück und stand gleich darauf nackt neben ihm. »Ich komme mit.«
    »Als Reporterin?«
    »Weiß ich noch nicht. Vielleicht.«
    Sie brauchten genau fünf Minuten bis zur Universität. Im überfüllten Hörsaal befanden sich an die zweihundert Studenten
    – seine größte Gruppe, die drei ineinander greifende Kurse vereinte und einmal pro Woche zusammenkam. Das Podium im Mittelpunkt des Amphitheaters war noch unbesetzt. In etwa zwei Minuten würden die Studenten langsam wieder aufstehen und gehen, aber die Unruhe war nicht größer als sonst: lautes Stimmengewirr, gereckte Hälse, um sich über die schrägen Sitzreihen hinweg besser verständlich zu machen, Nachzügler, die schwungvoll die steilen Aufgänge hinunter eilten. Chandler 318
    und Polly saßen weit hinten, am Ende einer Reihe von Studenten, die nicht zu seiner eigenen kleinen Gruppe gehörten.
    Im allerletzten Moment betrat der Dozent den Raum: der ehrenwerte Leiter der geschichtswissenschaftlichen Fakultät Bert Prosser. Er trug einen rotbraunen Tweedanzug mit roter Krawatte, dazu klobige rote Stiefel, und als er auf das Podium zuging, klopfte er mit dem Kopf seiner polierten Bruyerepfeife rhythmisch auf seine Handfläche. Er legte die Pfeife weg, hängte sich das winzige Mikrofon um den dürren Hals und räusperte sich. Bevor er anfing zu sprechen (ohne Notizen, wie üblich), steckte er die zu Fäusten geballten Hände in die Jackentaschen, um das leichte Zittern zu verbergen, das Chandler in den letzten Jahren bei ihm bemerkt hatte. Polly drückte Colins Arm.
    »Ich weiß«, begann Prosser, der seine Zuhörer allein durch seine Stimme zum Schweigen brachte, »dass mein Kollege Professor Chandler, der übrigens am kommen Montag wieder hier sein wird –«, er hob seine rosige Hand, um das Stimmengewirr zu unterdrücken: »Keine Jubelschreie, bitte. Ich weiß, dass er vielen von Ihnen seine bekannten und
    beachtenswerten Theorien über den Aspekt der Spionage während der amerikanischen Revolutionskriege nahe gebracht hat. Aber da ich heute seinen Platz einnehme, dachte ich, ich könnte Sie an den vagen Gedanken eines alten Mannes zu diesem Thema teilhaben lassen.
    Ich kenne mich aus mit Spionage und Heldentum. Doch wenn ich den Legenden gerecht werden müsste, die hier über mich kursieren, müsste man mich irgendwo zwischen Edgar Hoover, Allen Dulles und Scarlet Pimpernel einordnen, der übrigens kein Comic-Held ist, der sich in einem Cadillac durch Bostons Kampfzone bewegt … Die Wahrheit sieht natürlich ganz anders aus; ich werde heute nur kurz darauf eingehen …« Er machte eine Pause.
    »Auch ich glaube an große Männer, wie Professor Chandler.«
    319
    Sein Blick glitt ausdruckslos über die Menge. »Falls Sie das nicht tun, so sind Sie ignorant und zynisch. Die Revolution hat auf unserer Seite einige unbestreitbar große Männer hervorgebracht – nicht nur, weil sie auf der Siegerseite standen, sondern weil sie ungeheuer engagiert und risikobereit waren …
    Es bietet sich natürlich an, sie mit Ho Chi Minh oder Mao zu vergleichen, und sicherlich ist das kein Verbrechen, doch ich muss sagen, dass unsere Revolution ein weitaus
    beeindruckenderes Beispiel für großartige Männer und großartige Prinzipien liefert.
    Ich bin sicher, Professor Chandler hat Ihnen bereits erklärt, dass unsere Revolution sich eben durch solche Männer heraushebt, selbst wenn Treuebruch und Verrat – wie die eine oder andere Seite es nennt – in dieser Zeit eine große Rolle gespielt haben …
    Was kann ich nun Chandlers These über diese großen Männer, die er so vehement vertritt, hinzufügen? Nur eines: Schenken Sie ihm Glauben! «
    Während Prosser in dieser Manier fortfuhr, schweiften Chandlers Gedanken ab, doch er kam zu keinem Ergebnis.
    Prosser wiederholte seine oft vertretene Ansicht, wir lebten in einem Zeitalter moralischer Pygmäen … moralischer Klone; das Schicksal unseres Planeten sei weitgehend den Technikern und ihren diversen Gerätschaften überlassen worden, wodurch dem modernen Menschen die Begegnung mit menschlicher Größe versagt bliebe.
    »Eine Maschine«, erklärte Prosser, »sei es nun ein Computer oder ein winziges verstecktes Mikrofon oder eine
    wärmeorientierte Rakete: eine Maschine kann ihre
    vorgegebenen Grenzen nicht überschreiten. Doch Grenzen zu überschreiten ist

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