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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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Sensationshascherei finde ich Ekel erregend, Miss Bishop. Ihr Eingriff in meine Privatsphäre ist schlimm genug. Aber dass das Leben des Jungen erst durch Harvard –«
    »Nicht sein Leben! Wir sprechen von seinem Tod, und Boston ist voll von Leichen – tagtäglich«, erklärte sie aufbrausend und mit gerötetem Gesicht.
    »Der Harvard-Mord – heiliger Strohsack!« Er versuchte, an ihr vorbei zu kommen, aber sie machte keinen Platz. Es war entsetzlich heiß. Sein Hemd unter den vielen Kleidungsstücken war durchweicht.
    Polly Bishop fixierte ihn ungerührt.
    »Ihr Name stand auf einem Zettel in seiner Tasche, dazu Ihre Sprechstunden. Die Sekretärin hat gesehen, wie er ein paar Stunden vor seinem Tod Ihr Büro verließ.«
    »Denken Sie, ich habe ihn ermordet? Wollen Sie wissen, was ich zu der Zeit getan habe? Na gut. Ich war im University-Kino am Harvard Square und habe mir ein Remake von Charade angesehen mit Cary Grant und Audrey Hepburn.« Er räusperte sich verlegen.
    »Nein, ich war nicht mit Cary und Audrey zusammen. Sie waren auf der Leinwand. Und ich habe einen Zeugen namens 60
    Brennan. Auch er hat Bill Davis nicht ermordet. Und nun Schluss mit dem Verhör, Miss Bishop. Mir reicht’s.«
    »Was wollte Bill Davis vor seinem Tod bei Ihnen, Professor?«
    »Hören Sie«, sagte er verärgert, »was ist los mit Ihnen? Sie wissen, weshalb mein Name und meine Sprechstunden auf seinem Zettel standen. Ich war sein Tutor. Ja, er wollte mich sprechen. Aber er kam zu spät! Wir haben uns verfehlt!« Er spürte, wie der Muskel an seinem Kinn zuckte. Verdammtes Weib …
    »War wohl nicht sein Tag, wie?«
    »Sehr komisch«, bemerkte er säuerlich. »Wirklich.«
    »Weshalb wollte er Sie sprechen? Weshalb hat er bei der
    Sekretärin hinterlassen, dass Sie ihn anrufen sollten? Was war denn so wichtig?«
    Chandler hob die Hände und schaute in den Saal. »Jetzt hören Sie mal, Miss Bishop! Ich weiß nicht, was er von mir wollte. Ich habe ihn nicht gesprochen. Geht das in Ihren Kopf nicht rein?«
    »Ich glaube, Sie wissen etwas und wollen es nicht sagen.« Sie nickte bekräftigend mit dem Kopf. »Sie sind genau der Typ …«
    »Heiland!« Er stürmte an ihr vorbei und durch die Tür. Warum musste Gott eine so attraktive Frau schaffen, die derartig ätzend war? Warum bloß?
    Er hörte ihre gestiefelten Schritte hinter sich. Als sie näher kam, erhaschte er einen Hauch ihres Parfüms. Gardenia oder so was. Sie hatte zarte kleine Krähenfüße in den Augenwinkeln und einen selbstsicheren Zug um den Mund. Fünfunddreißig?
    Wieso interessierte ihn das?
    »Vielleicht ist Ihnen gar nicht klar, dass Sie etwas wissen«, meinte sie versöhnlich. »Doch ich wette, es gibt etwas, eine Kleinigkeit …«
    »Ein Schuss in den Ofen, werte Dame!«
    »Elegant ausgedrückt«, meinte sie. »Wirklich elegant. Ihr Harvard-Leute …«
    Er trat durch die Eingangstür auf die Eingangstreppe und war 61
    momentan wie von einem Blitzstrahl geblendet. Man hatte einen starken Reflektor eingeschaltet, und Chandler erkannte zu spät, dass er hinters Licht geführt worden war. Ein Kameramann war da, ein Beleuchter, ein Typ, der das Mikrofon und irgendein anderes Gerät hielt. Auf jedem Gerät prangte eine große grüne 3
    in einem schokoladebraunen Rechteck. Jemand hielt einen Schirm über die Kamera und den Reflektor. Als Chandler sich erstaunt zu Polly Bishop umdrehte, fiel ihm der Schirm aus der Hand und rollte die Treppe hinunter. »Wenn das nicht mein Glückstag ist«, brummte er.
    Sie ergriff das Mikrofon, stellte sich in Positur und fing auf ein Signal hin an zu sprechen. Chandler sah in die Kamera und wollte flüchten, doch er spürte eine Bewegung an seinem Ärmel und stellte fest, dass sie sich bei ihm eingehängt hatte. Er war gefangen. Und weil er dieser erstaunlichen Frau nicht gut eine überbraten konnte, musste er wohl ein Fernsehinterview über sich ergehen lassen. Während der Regen aus den schwammigen grauen Wolken tröpfelte, hörte er sie reden.
    »Wir stehen hier im ehrwürdigen alten Harvard Yard, in Rufweite des geschäftigen Harvard Square – überschattet vom gewaltsamen Tod von Bill Davis, des jungen Harvard-Studenten, der vor weniger als achtundvierzig Stunden auf dem Rasen vor dem Vorstadthaus seiner Eltern in Brookline brutal niedergeschossen wurde. Wir sprechen mit Bill Davis’
    Studienberater, Harvards bekanntem Historiker und Autor Professor Colin Chandler.« Mit offenem, ernstem Blick sah sie ihm in die Augen, ganz die

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