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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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»Das wär’s für heute.«
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    Die Frau mit den großen Augen und den hohen Backenknochen kam mit flottem Schritt auf ihn zu, während er ungeschickt in den schäbigen Burberry mit den ausgefransten Ärmelrändern, dem lappigen Karofutter und den vereinzelten Flecken schlüpfte, die sich anscheinend von ihm angezogen fühlten. Er betrachtete sie, als sie sich ihren Weg durch die Studenten bahnte, und versuchte, ihrem Gesicht einen Namen zuzuordnen: Außer Audrey Hepburn fiel ihm aber nichts ein, und weil er nicht das große Los gezogen hatte, war sie wohl kaum Audrey Hepburn. Sie sprach ihn an und streckte ihm die Hand hin, die er linkisch ergriff.
    »Ich bin Polly Bishop von Kanal 3 Aktuell –«
    »Natürlich«, sagte er und schlug sich an die Stirn. »Ich habe Sie schon hundertmal gesehen, aber –«
    »Typisch für das Fernsehen. Wir sind den Leuten so vertraut wie ihre Möbel …« Sie lächelte gewinnend. »Und genauso nebensächlich.«
    »So ähnlich wie Geschichtsprofessoren.« Er fing an, sich mit seinem Schal zu erwürgen, und fragte sich dabei, wie es kam, dass er bei den einfachsten Dingen solche Schwierigkeiten hatte.
    »Sie haben sich in der kleinen Schlaufe verheddert«, meinte sie, während sie ihn vor seinem Schal rettete. »Haben Sie immer solche Schwierigkeiten?« Sie lächelte breit, mit nach oben gewölbten Mundwinkeln.
    »Immer Gott sei Dank nicht, aber immer öfter. Was kann ich für Sie tun, Miss Bishop?«
    Sie ignorierte seine Frage. »Sie sind ziemlich hart mit uns Fernsehleuten ins Gericht gegangen, Professor. Hier, vergessen Sie nicht Ihren Schirm.«
    »Bestimmt nicht härter, als Sie es verdienen. Das Fernsehen ist an vielem schuld.«
    »Ach, das Gute und das Schlechte hält sich wohl die Waage.«
    Immer noch lächelnd musterte sie ihn von oben bis unten.
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    »Vielleicht überwiegt sogar das Gute.«
    Ihr Lächeln ergötzte ihn nicht übermäßig, genauso wenig wie die heitere Nachsicht, die sie zur Schau stellte. »Rechtfertigen Sie Ihre Existenz, wie immer Sie wollen …«
    »Oje, jetzt wird sogar meine ganze Existenz in Frage gestellt!«
    »Hören Sie, Miss Bishop, ich weiß nicht, weshalb Sie hier sind. Aber bestimmt nicht, um mich wegen meiner Kritik am Fernsehen zu nerven … Sie hatten Ihren Spaß, als Sie meinen Kampf mit Schal und Mantel verfolgten. Das sehe ich an Ihrem Gesicht. Warum kommen wir nicht zur Sache oder lassen das Ganze.« Er stopfte Unterlagen und Bücher in seine Aktentasche.
    Als er nach seinem Boston Globe griff, tippte sie mit ihrem wohl manikürten Finger darauf.
    »Deshalb bin ich hier.« Das Lächeln war verschwunden. »Tut mir leid, Professor, dass wir so einen schlechten Start hatten …«
    »Der Mord an Bill Davis«, sagte er leise. Das jungenhafte Gesicht mit dem langen Haar – ein typisches Jahrgangsfoto –
    blickte ihn von der Zeitungsseite an. Einen Augenblick lang zitterte seine Hand. Dann schob er die Zeitung in seine voll gestopfte Tasche.
    »Sinnlos und entsetzlich …« Er schloss die Aktentasche und sah herab auf die Frau.
    »Ich berichte über den Mord. Eine große Sache, ›Der Harvard-Mord‹. Deshalb bin ich hier.« Sie ließ den Blick durch den Hörsaal schweifen, dann sah sie wieder ihn an und zuckte verlegen die Achseln. »Sie waren mitten in der Vorlesung. Ich bin dageblieben.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Wie kommen Sie auf mich? Ich habe ihn kaum gekannt.«
    »Sie waren sein Tutor, Professor, sein Studienberater. Wie können Sie da sagen, Sie kannten ihn kaum?«
    »Ich habe ihn erst dieses Semester übernommen. Wir haben uns nur ein-, zweimal getroffen. Er kam mir ziemlich selbstständig vor. Hatte wohl etwas in Arbeit, das ich noch nicht 59
    sehen sollte. Sein früherer Tutor gab Bill den Anstoß, und für mich war bis jetzt nicht viel zu tun …« Er schüttelte erneut den Kopf, als sei er zu keiner anderen Bewegung fähig. Auf wie viele Arten konnte man Sinnlosigkeit und Trauer ausdrücken?
    »Ich weiß nichts über … das, was Bill passiert ist.«
    »Aber außer Ihnen haben wir nichts, Professor. Nicht einen Anhaltspunkt. Die Polizei hat schon mit Ihnen gesprochen, aber sie rückt nichts raus. Das macht Sie für uns interessant.
    Anscheinend sind Sie der Einzige in Harvard, mit dem sie geredet haben, die einzige Verbindung zu Harvard. Und offen gesagt, der Mord gewinnt erst durch Harvard an Interesse.
    Verstehen Sie? Es sollte nicht so abgebrüht klingen …«
    »Ihre Art schäbiger

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