Aquila
Underhill ermordet worden war.
»Ich erledige das per Telefon, von Nats Schreibtisch aus«, erwiderte sie. »Als ausgleichende Gerechtigkeit, sozusagen.«
Colin lächelte auf sie hinab. »Miss Thompson, Sie haben sich als wunderbare Überraschung entpuppt. Sie waren –«
»Krisenzeiten bringen oft das Beste im Menschen hervor«, sagte sie. »Wir kriegen raus, was hier läuft, und warum.«
Sie zogen ihre Mäntel über, als Polly sagte: »Noch eins, Nora.
Sie können heute Abend nicht nach Hause gehen. Nicht, wenn der rote Pinto dort herumkurvt. Die haben Sie gesucht und suchen Sie jetzt noch … Wir wissen, wie sie Colin behandelt haben. Ich sehe keinen Grund, weshalb sie mit Ihnen sanfter umgehen sollten.«
»Hört, hört«, unterbrach Colin ihre Rede. »Sie wohnen im 128
guten alten Parker House. Und da Kanal 3 offensichtlich von Ihren Nachforschungen profitiert, nehme ich an, es ist im Sinn von Miss Bishop, dass der Sender Ihre Auslagen übernimmt.«
Er strahlte Polly an.
»Selbstverständlich.« Polly strahlte zurück.
»Kommt nicht in Frage!«
»Keine Widerrede«, bestimmte Polly. »Wir kommen so gut miteinander aus. Ich bestehe darauf, und damit basta. Führen Sie bitte Ihre Überseegespräche. Kaufen Sie, was Sie übers Wochenende brauchen, und heben Sie die Quittungen auf.« Sie lächelte der grauhaarigen Nora liebenswürdig zu, die mit ihrer Brille nun wirklich wie eine sechzigjährige alte Jungfer aussah –
aber wie eine Sechzigjährige voller Elan, die drauf und dran war, jemandem auf unspektakuläre Art die Hölle heiß zu machen.
Es war nach drei, als sie Nora ihren Nachforschungen überließen und in Pollys Wohnung zurückkehrten. Der Regen war einem kalten Nebel gewichen, mit schweren Wolken am Himmel, die es frühzeitig dunkel werden ließen. Polly knipste in Küche und Wohnzimmer das Licht an und kniete vor dem Kamin, um ein paar Scheite auf die Asche vom letzten Abend zu schichten. Als Chandler sich auf das weiche Sofa fallen ließ, fühlte er sich müde und geborgen. Er sah, wie sich die Jeans über ihren Schenkeln spannten.
»Ich fühle mich wie zu Hause«, bekannte er, während das zusammengeknüllte Papier Feuer fing und die Flammen durch die Holzscheite züngelten. »Kommt mir vor, als käme ich schon jahrelang zu Besuch.«
»Machen Sie’s sich ruhig bequem. Entspannen Sie sich. Ich muss zur Arbeit – co-moderieren in der ersten Schicht. Heute geht’s nur ums Reden. Keine Reportage. Falls sie mich für die Spätausgabe brauchen, bleibe ich wahrscheinlich einfach im Studio und esse dort eine Kleinigkeit …«
»Rufen Sie mich an, falls Sie bleiben.« Sein Anflug von Sorge 129
überraschte ihn. »Ich meine …«
»Ja?« Sie lächelte ihn von der Seite an.
»Naja. Wie Sie schon sagten: Der rote Pinto kurvt da draußen herum. Ich möchte nicht hier sitzen und mir Sorgen machen, weil Sie vielleicht gekidnappt und zusammengeschlagen werden, während Sie sich den Bauch vollschlagen und Schabernack treiben …«
»Schabernack treiben?«
»Jemand, der bei Stress ›Heiliger!‹ schreit, ist zu allem fähig.«
»Ich dusche mich und ziehe mich für die Sendung um«, sagte sie lachend, als sie aus dem Zimmer ging. »Machen Sie ein Nickerchen.«
Er musste dringend Brennan anrufen, aber bevor er zum Apparat greifen konnte, war er schon eingeschlafen. Als er um fünf aufwachte, war es dunkel, und sie war gegangen. Er ging ins Bad, Zähne putzen, und überlegte, wer wohl der oder die Benutzer des Rasierwassers sein könnten. Dann telefonierte er von der Küche aus. Brennan war außer Atem.
»Wo bist du gewesen? Ich hab in ganz Cambridge nach dir gesucht. Ich bin sogar zu deinem Haus gelaufen, weil ich dachte, dich hätte im Bad der Schlag getroffen.«
»Hugh, halt die Luft an –«
»Was war denn bei dir los? George zerdeppert am Boden, der Fernseher explodiert, die Kaffeemaschine im Eimer und alles voller Kaffeeflecken … Ich wusste vor Schreck nicht, was ich machen sollte.«
»Und was hast du gemacht?«
»Gar nichts. Ich wollte erst mal einen Tag abwarten. Was hätte ich denn tun sollen?« Er schnaufte beleidigt. »Heute haben sich Reporter bei uns rumgetrieben, die haben dich gesucht. Und ob du’s glaubst oder nicht: Jemand hat die Wanze aus dem Blumenkasten geklaut! Ich wollte sie mir noch mal ansehen – da war sie weg! Was geht hier eigentlich vor?«
Chandler brauchte fast eine Viertelstunde für seinen Bericht.
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Bei jedem neuen Abenteuer hielt sein Freund die Luft
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