Aquila
aber gesehen. Das Blatt Papier und die Unterschrift waren für ihn die Bestätigung.« Polly hatte das Blatt auf dem Tischchen zurechtgeschoben, um es besser sehen zu können.
»Und William Davis selbst hat geschrieben, dass er seinen Augen nicht mehr trauen könne, weil er so mieses Essen bekam und alle schwach und krank waren. Ich schätze, er hat einen großen, breitschultrigen Mann gesehen, der mit Washingtons 184
Namen unterschrieb.«
»Nicht bloß mit dem Namen«, wandte Chandler tonlos ein.
»Es ist Washingtons Signatur.«
»Na und?«, gab Percy zurück und ging mit dem Schlüssel zum Regulator. »Gefälscht wurde nicht erst im zwanzigsten Jahrhundert.« Er zog die Uhr auf. »Wie sieht denn alles Übrige für ein fachmännisches Auge aus, Professor? Denken Sie, es ist echt?«
»Ja. Sieht so aus. Das Papier und die Schrift sind alt, der Stil wirkt auch echt. Auch das Porträt hat das richtige Alter, und es besteht für mich kein Zweifel, dass Winthrop Chandler es gemalt hat – das passt alles viel zu gut zusammen. Das Dokument wurde ganz sicher vor langer Zeit geschrieben – vor sehr langer Zeit. Aber hat Washington es unterschrieben? Oder ein Doppelgänger? Oder ein Helfer, der zu seinen Unterlagen Zugang hatte und seine Unterschrift nachahmen konnte? Haben die Engländer das Ganze inszeniert, um die Gegenseite zu erpressen? Oder hat Washington seinerseits versucht, die Engländer auszutricksen?«
»Oder hat er für die Engländer gearbeitet?«, gab Polly zu bedenken. »Wir müssen auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen.«
»Wenn er den Engländern helfen wollte, hat er es ziemlich vermasselt«, meinte Percy. »Vielleicht erinnern Sie sich, dass er den Krieg gewonnen hat.«
»Was wäre, wenn er später noch mal die Seiten gewechselt hat, als die Armee den Winter in Valley Forge überstanden hatte«, warf Polly ein. »Könnte doch sein, dass er sich keine Chance ausgerechnet hat, den Krieg zu gewinnen. Die einflussreichsten Männer des Landes waren zerstritten, die Armee in Auflösung begriffen. Vielleicht hat er
siebenundsiebzig aufgegeben und beschlossen, seine Truppen lieber nach und nach ehrenhaft zurückzuziehen, zu annehmbaren Bedingungen und mit so wenig Verlusten wie möglich.«
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»Wenn wir sie bloß dort auf der Lichtung sehen könnten«, sinnierte Chandler, während er sich den bedeutsamen Augenblick in einem Winkel seines Bewusstseins vorstellte.
»Ich würde George sofort erkennen …« Ihr ungläubiges Lächeln brachte ihn wieder zurück in die Gegenwart. »Wissen Sie, wenn es nicht ausgerechnet Washington wäre. Irgendjemand anders, ja. Aber nicht Washington …«
»Er war auch nur ein Mensch«, bemerkte Polly.
»Nein. Er war viel mehr als das. Er war ein großer Mann.«
»Ja, ja, das hab ich schon irgendwo gehört«, konterte sie ungeduldig. »Tut mir leid, Colin. Ich weiß, was das für Sie bedeutet, aber Sie müssen bereit sein, die Wahrheit zu akzeptieren – wenn es sich denn als wahr erweisen sollte.«
»Davon sind wir noch meilenweit entfernt.«
»Tut mir leid, Freunde«, mischte sich Percy ein, »ich will die Diskussionsrunde nicht stören, aber, die historischen Fragen mal beiseite, was hat dieses Stück Papier mit dem Tod von Bill und Underhill zu tun? Was kann der Grund sein?«
»Gehen wir doch ein paar Möglichkeiten durch«, sagte Chandler, der die Gegenwart sogleich vergaß. Es war immer das Gleiche: Die Vergangenheit erschien ihm realistischer und vertrauter als die Probleme der Gegenwart. »Vielleicht steckt ein durchgeknallter Sammler dahinter, oder ein geistesgestörter Historiker … Das alles ist so schizophren!«
»Ein Sammler oder ein Historiker, der ein paar Ganoven zum Töten und Foltern anheuert?« Der Zweifel in Pollys Stimme war kaum zu überhören. »Das will mir nicht in den Kopf. Wir haben es hier mit mindestens zwei Gruppen von Leuten zu tun: Einmal die Typen, die zu Ihnen ins Büro kamen, Fennerty und McGonigle – wer immer sie auch sein mögen. Und dann die Kerle aus Ihrem Haus. Sie alle sind hinter diesem Stück Papier her, hinter der Unterschrift und dem, was sie bedeutet. Colin, ich denke nicht, dass wir es mit einer akademischen Frage zu tun haben …«
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»Ich weiß es nicht«, seufzte er. »Vermutlich haben Sie Recht.
Ich bin völlig konfus.«
»Was könnte man damit anfangen? Was macht man mit so einem Ding?«
Percy meldete sich zu Wort: »Wäre ein ziemlicher
Schandfleck in den Geschichtsbüchern, meinen Sie nicht? Wir
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