Aquila
glaubte, noch eine Chance zu haben, hatte er es mit einer witzigen Story versucht. »Hört mal, Leute, nehmen wir’s doch von der heiteren Seite! Kennt ihr schon den von den zwei Polen und ihrem schwedischen Kumpel? Nein? Na gut, redet nicht dazwischen …
He, was macht ihr da? Also, die drei hängen jahrelang in der gleichen Bar rum, immer zusammen, und – he, was soll das?
Nein, hört auf, seid nicht so verbohrt! O Gott!« So hatte es vor einer Ewigkeit angefangen.
Im Fernsehen lief der nächste Film, es musste also gegen zwei Uhr morgens sein – eine Rechnung, die ihm bewies, dass er seine fünf Sinne noch beisammen hatte. Er roch den Schweiß seiner Peiniger, beobachtete, wie er sich sammelte und dann von 189
der einen sichtbaren Augenbraue des Mannes mit der Zange herabtropfte, sah den Verband auf seinem Gesicht während seiner Anstrengungen rutschen, und auf der gelockerten Binde abgestorbenes Gewebe und Salbe und Haare. Die Augen des Mannes glänzten, und er leckte sich die Lippen, während er sich über sein Opfer beugte. Der Kleine stellte ständig Fragen, immer wieder die gleichen, doch niemand beachtete ihn.
Zwischendurch ging er auf die Veranda, um Luft zu schnappen.
Manchmal forderte er den Großen auf, aufzuhören, aber es hatte keinen Zweck. Er hatte nämlich Angst vor ihm, und Brennan erkannte auch, warum.
Durch sein vehementes Erbrechen und seinen verzweifelten Kampf gegen das Ersticken hatte sich das Handtuch gelockert.
Er schob es mit der Zunge aus dem Mund. Als es auf seine Brust fiel, stopfte es keiner zurück. Er konnte kaum noch krächzen, geschweige denn schreien. Gegen die Schmerzen ankämpfend und ohne seine Stimme richtig hören zu können, fuhr er fort:
»Eines Tages kamen die beiden Polen ohne den Schweden in die Bar. Er war schon seit Tagen verschwunden. Vermisst. Die Polizei fragte die Polen nach dem Schweden … o Gott, hören Sie auf!«
Brennan musste zum ersten Mal kotzen, als er seine blutigen, ausgefransten Fingerkuppen sah, die Stellen, an denen seine Nägel gewesen waren. Sie sahen aus, als wären sie bis auf die Knochen heruntergebissen. Blut war auf den Stuhl getropft, auf seinen Bademantel und auf den Regenmantel seines Peinigers, Blut und Fleischfetzen, und die Hände des Mannes und seine Zange waren blutverschmiert und glitschig. Damit die Zange richtig greifen konnte, musste er sie an seinem Mantel trocken wischen. Als sie mit der einen Hand fertig waren und noch nicht mit der anderen angefangen hatten, wurde Brennan klar, dass sie einen großen Fehler machten: Sie hatten nicht die Absicht, ihn umzubringen.
Immer wieder fragten sie ihn, wo Chandler war. Sie brauchten 190
lange, um zu begreifen, dass er ihnen rein gar nichts sagen würde. Nach seiner rechten Hand machten sie einfach weiter, aber er hatte schon zu viel mitgemacht – sie würden ihn nicht zum Sprechen bringen. Den Kleinen strengte das Reden an; er verlor das Interesse. Doch der andere hantierte wie der Teufel: Er arbeitete gegen seine Frustrationen an und grunzte vor Anstrengung, als er die Nägel an den Wurzeln ausriss.
»Die Polizei verlangte eine Beschreibung«, sagte Brennan, um eine deutliche Aussprache bemüht. Er wusste nicht, ob es ihm gelang. »Die beiden Polen beschrieben ihn, und die Polizisten wollten wissen, ob der Schwede besondere Merkmale hatte. Die Polen erinnerten sich: Der Schwede hatte zwei Arschlöcher.
›Zwei Arschlöcher!‹ Die Polizisten staunten. Woher wussten die Polen das? Sie lachten. ›Ganz einfach! Immer, wenn wir in die Bar kamen, der Schwede und wir, sagte der Barmann das Gleiche: ›He, hier kommt der Schwede mit den zwei
Arschlöchern!‹ …« Keiner lachte, doch Brennan war das egal.
Er lächelte und dachte in seinem Delirium aus Fantasie und Schmerzen an Mary Tyler Moore. Dann stopfte ihm der Kleine das Handtuch wieder in den Mund.
Er fragte sich, ob sein Herz das aushalten würde. Ein idiotischer Zeitpunkt, um an einem Herzanfall zu sterben! Der Große arbeitete stöhnend weiter. Der Verband hing ihm an einem Pflasterstreifen vom Ohr herab, so dass Brennan ab und zu die entsetzliche gräulich-rosa Wundfläche auf der einen Gesichtshälfte sehen konnte. Seine Hände taten kaum noch weh.
Er wartete geduldig und bemühte sich, nicht die Nerven zu verlieren. Schließlich sank der Große zurück und starrte die Wand an, als hätte er sich bei der Tortur übernommen. Brennan beobachtete ihn, bevor er einen Blick auf seine eigenen Hände riskierte. Wieder
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