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Aquila

Aquila

Titel: Aquila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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der amerikanischen Kunstgeschichte, aber er wird in der einschlägigen Literatur erwähnt – gerade noch. Der einzige Chandler, der in der Kunst seine Spuren hinterlassen hat.«
    »Er ist nicht –«
    »Doch. Hundertprozentig ein Vorfahre von mir.«
    »So was passiert hier ständig«, warf Percy ein. »Ich stamme von irgendwelchen Davis ab, und die Hälfte des Clans hält einem das immer vor Augen. Wir vereinnahmen jeden Davis –
    ob er nun Pferdedieb ist oder Kuppler oder Klinkenputzer.«
    »Mag sein, aber Winthrop gehört wirklich zu unserer Familie«, entgegnete Chandler ein bisschen pikiert. Polly grinste. »Er stammte aus Woodstock in Connecticut und zog als Porträtmaler durch die Lande. In Boston wollte er Malerei studieren. Er hat auch Häuser und Ladenschilder gemalt, um sich über die Runden zu bringen. Wir glauben, dass er während des Revolutionskrieges in Boston gelebt hat. Der Mann verstand sein Handwerk. Er war einer der besten Porträtmaler seiner Zeit.
    Wir haben noch fünf oder sechs Bilder in der Familie, und ein Prachtstück hängt in Brookline bei der Historischen Gesellschaft. Underhill wusste jedenfalls, dass ich eine Antenne für ein Chandler-Porträt haben würde. Offenbar war er der Ansicht, das hier wäre eins.«
    »Und?«, fragte Polly. »Ist es eins?«
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    »Meiner Meinung nach schon. Genau sein Stil, seine
    Lieblingsfarben. Bestimmt hat Underhill gedacht, wenn es von Chandler gemalt wurde, soll es auch ein Chandler begutachten.«
    »Der Brief«, mahnte Percy Davis.
    Chandler öffnete den Umschlag und entfaltete das einfache weiße Blatt Schreibmaschinenpapier. Er warf einen kurzen Blick darauf.
    »Es ist kein Brief«, erklärte er. »Anscheinend erklärt Bill hier, wie er auf das Bild gestoßen ist. Lesen wir’s doch gemeinsam.«
    Er strich das Blatt auf dem Tischchen aus, und sie beugten sich alle drei darüber.
    Ich fand dieses alte Porträt in einer Truhe auf dem Dachboden im Sommerhaus meiner Eltern in Chatham. Vermutlich hat in den vergangen hundert Jahren kaum jemand die Truhe geöffnet und erst recht nicht durchstöbert, wie ich. Dem alten Bild von
    » Großmama « hat wohl niemand viel Beachtung geschenkt. (Ich nenne sie so, weil keiner sagen konnte, wer sie war.) Als ich das Bild fand, hatte ich gerade Literatur zu einem Kurs von Professor Chandler gelesen und irgendwie Feuer gefangen für die Revolutionszeit.
    Ich hielt das Porträt sehr oft in der Hand, bis ich eines Tages bemerkte, dass der feste Stoff, mit dem die Rückseite überzogen war, sich allmählich löste. Ich zog ihn gleich völlig ab. Dahinter fand ich das, was ich das » Aquila-Papier « genannt habe –
    sicher, weil ich zu viele Krimis lese. Ich weiß nicht, was das alles bedeutet. Es gibt so viele Interpretationsmöglichkeiten.
    Aber ich kann mir denken, welche Bedeutung das Dokument haben könnte.
    Wenn ich meine eigenen Nachforschungen abgeschlossen habe, werden Chandler und Nat Underhill vermutlich meinen Fund begutachten und publik machen. Chandlers Renommee wird verhindern, dass sich Zweifler zu Wort melden, falls mein Fund echt ist. Dann wird alles nicht mehr mein eigenes kleines Geheimnis sein. Es wird mir fehlen.
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    »Worüber redet der eigentlich?«, fragte Polly ungeduldig. »Will er die Spannung steigern? Oder gibt es da noch was?« Sie kramte zwischen Packpapier und Schnurenden.
    »Na klar«, sagte Chandler. »Hinter der Rückwand – dort, wo er’s gefunden hat. Percy, Ihr Messer, bitte.« Davis reichte ihm das Taschenmesser, und er schlitzte damit das offensichtlich neue Klebeband auf, das den ebenfalls neuen Karton mit dem Rahmen verband. Sekunden später zog Polly darunter zwei neue gelbe Umschläge hervor, die mit Heftklammern gesichert waren, als enthielten sie Beweisstücke. Auf einem stand in Blockschrift: WM. DAVIS’BRIEF.
    Das Papier, auf das William Davis vor zwei Jahrhunderten geschrieben hatte, war grob und zerknittert. Zwar sah man ihm sein Alter an, doch es war gut erhalten, weil es die ganze Zeit in dem Rahmen verborgen gewesen war. Die Schrift war ein bisschen verblasst, doch viel weniger als bei anderen Dokumenten aus jener Zeit. Es musste ja nie im Tageslicht bestehen. Der Brief war datiert 14. Januar 1778, Valley Forge.

    An alle, die es angeht:
    Ich bin verzweifelt und voller Angst und geplagt von schlimmster Pein. Gestern Nacht habe ich hier im gottverlassenen Valley Forge das Unmögliche beobachtet.
    Wenn ich sterbe wie alle meine Freunde hier, kann ich nicht mit

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