Aquila
Kopfschmerzen –
typisch für ein Gin-Besäufnis und mit nichts anderem zu vergleichen. Dann erinnerte er sich an Ozzie, sah in einem Gedankenblitz den wuchtigen Körper mit offenem Mund und blitzendem Goldzahn lautlos zu Boden gleiten, sah ihn dort liegen wie einen blutgetränkten Regenmantel, der in die Reinigung musste.
Thorny war immer stolz darauf gewesen, dass ihn der Tod ziemlich kalt ließ. Meistens war er damit in Berührung gekommen, wenn er ihn anderen brachte. Als Junge brachte er ihn im Auftrag der Chicagoer Mafia, dann für Banden in San Diego und New Orleans, später als Freischaffender in Texas und Mexiko und Nicaragua und Paraguay; er bekam einige Aufträge von Leuten, die er nicht kannte und auch nicht kennen lernen wollte. Man baute sich eine Karriere auf, machte etwas aus seinem Leben, achtete auf seinen guten Ruf, dann waren einem gute Referenzen sicher. Auf eine solche Empfehlung hin war er an den alten Herrn geraten und damit nach Boston gekommen.
Und nun war Ozzie tot. Verfluchte Professoren! Wegen des einen litt er noch an Atemnot, wegen des anderen war er allein 208
… Mist! Er hatte Ozzie mehr als zehn Jahre gekannt, und seit 1970 waren sie zusammen im Einsatz gewesen. Ozzie war keine Geistesgröße gewesen, seine Stärke lag in den Muskeln; es war gut, ihn an der Seite zu wissen, wenn es hart auf hart kam. Bis auf das letzte Mal.
Ja, es machte ihm nichts aus, anderen beruflich den Tod zu bringen, doch Ozzies Tod hatte ihm zugesetzt. Sicher, Oz war dicht vor dem Überschnappen gewesen, aber das konnte jedem passieren. Er seufzte. Sie waren gleich alt, vierundvierzig, und Thornhill erkannte, was für ein zartes Pflänzchen das Leben war oder sein konnte, wenn es einem entsprechend dreckig ging.
Oz, der trotz seines handwerklichen Geschicks nicht weit oben stand auf der Evolutionsskala, war es ziemlich dreckig gegangen, besonders nach den Verbrennungen und den
Schmerzen, die Chandler ihm zugefügt hatte. Er hätte Brennan liebend gern umgebracht, nachdem er ihm alle Fingernägel ausgerissen hatte. Nägel ausreißen war für Oz wie Therapie, wie Körbeflechten oder Petit-Point-Sticken. Der Alte konnte sich leicht zurücklehnen und sich aufregen, weil die Dinge aus dem Ruder gelaufen waren. Aber man musste selbst auf der Matte stehen, musste sich hineinknien, um zu wissen, was wirklich Sache war …
Thornhill kannte die kritischen Punkte seiner Persönlichkeit und war sich im Klaren, dass er an einem der schlimmsten angelangt war. Je mehr er darüber grübelte, was Chandler und Brennan ihm und Ozzie angetan hatte, desto stärker packte ihn die Wut. Irrationale Wut – oder war sie doch nicht so irrational?
Die Opfer hatten sich gewehrt und zurückgeschlagen, etwas Unerhörtes in Thornys Erfahrung mit Zivilisten. Von Soldaten der gegnerischen Armee erwartete man nichts anderes, doch Zivilisten mussten schon beim kleinsten Stups zerbrechen wie zarte, durchsichtige Eierschalen im Nest eines Rotkehlchens.
Was, zum Kuckuck, war bloß mit Chandler und Brennan los?
Vielleicht war Brennan tot. Er hatte sich zu rasch aus dem 209
Staub gemacht, um sich um dessen Wohlbefinden zu kümmern, und konnte nicht ganz verstehen, weshalb er solche Angst bekommen hatte; aber Brennan war dort plötzlich wie ein blutiges Gespenst aus dem Nichts aufgetaucht, Brennan, der eigentlich bewusstlos im Zimmer liegen sollte. Er hatte den Knüppel geschwungen und gebrüllt und Blut verspritzt, und dann der klatschende Laut von Ozzies Kopf … Seit er damals in Psycho gesehen hatte, wie die alte Dame mit dem Fleischermesser auf den Treppenabsatz gerannt kam, war er nicht mehr so erschrocken.
Während sich das Bild in sein Gehirn fraß, wie Brennan Oz erschlug, hievte sich Thornhill aus dem Bett und torkelte unter fürchterlichen Kopfschmerzen ins Bad. Eine halbe Stunde später hatte er mit Donuts und Kaffee in der verglasten Lobby gefrühstückt und den roten Pinto an der Tankstelle gegenüber voll getankt. Er hatte auch eine Karte von Neuengland erstanden und den Weg nach Kennebunkport eingezeichnet.
Voller Ungeduld kämpfte er sich durch den sonntäglichen Familien- und Ausflugsverkehr. Eine ganze Ewigkeit versuchte er, den Großraum Boston rasch hinter sich zu lassen, doch man brauchte einfach seine Zeit. Die Autobahnschilder verwirrten ihn, Einheimische hupten ihn verärgert an, wenn er die Spur wechselte. Er fragte sich, ob der alte Herr zu Brennans Haus gefahren war. Hatte überhaupt schon jemand den
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