Aquila
Prosser für ihn noch immer so etwas wie ein Ersatz für seinen Vater, den er schon früh verloren hatte. Zu Bert Prosser brachte er die Trophäen seines Erfolges, seiner schulischen Leistungen, seiner bekanntesten Bücher und Artikel. Prosser war es, der ihm einen Platz anbot, Cognac einschenkte und zum Glückwunsch eine Zigarre mit ihm rauchte. Dabei stand er Prosser gar nicht besonders nahe; der berühmte Mann war zu eng mit den Staatsgrößen verbunden, als dass man leicht Zugang zu ihm finden konnte. Doch Chandler hatte bei ihm einen so guten Stand, wie es für jemanden abseits der Spielwiesen der Mächtigen nur möglich war. »Aber wie Sie wissen, bin ich da in eine ziemlich unangenehme Sache reingeraten. Offen gesagt, ich brauche Ihren Rat … Ich bin mit meiner Weisheit am Ende.«
»Unsinn, das kommt Ihnen nur so vor. Glauben Sie mir, es bleibt einem immer noch mehr Weisheit, als man denkt. Ich helfe Ihnen aber gern, Colin. Was gibt es?«
Zwanzig Minuten später beendete Colin atemlos seinen Bericht und fragte sich, ob er sich verständlich machen konnte.
»Ich schwöre: Jedes Wort ist wahr«, schloss er.
»Natürlich. Am wichtigsten ist aber, dass Sie und Miss Bishop in Sicherheit sind. Zweitens haben Sie das Dokument, hinter dem offenbar alle her sind. Ich glaube, dass ich Ihnen da helfen kann. Sieht aus, als würden Sie von verschiedenen Seiten verfolgt. Schwierige Lage, alles in allem.« Chandler hörte, wie 201
er einen Schluck Kaffee trank, hörte Papier rascheln. »Es gibt immer einen Ausweg. Immer. Ich weiß nicht, was ich von dem Dokument halten soll. Ist es echt oder nicht? Ich müsste es sehen, aber dann würde ich’s wohl auch nicht wissen. Ich denke, dass Eile Not tut … Sie müssen sofort aus diesem Seafoam-Dings verschwinden. Seien Sie sich nicht zu sicher, dass Sie die Kerle abgehängt haben, die Ihnen auf den Fersen sind. Nach meiner Erfahrung ist so was leichter gesagt als getan. Die haben Mittel und Wege, von denen Sie nicht mal träumen.
Verbindungen, von denen Sie kaum etwas ahnen. Nehmen Sie meinen Rat an, mein Lieber, und zögern Sie keinen Augenblick: Ich habe oben im Norden ein Sommerhaus, in Johnston, Maine, gleich hinter dem Ort.« Er beschrieb das Haus. »Sie können es nicht verfehlen. Es ist niemand dort im Moment. Ich deponiere immer einen Schlüssel unter dem Holzstoß vor dem Schuppen, welcher der Tür am nächsten ist. Sie finden ihn. Tasten Sie nur danach. Machen Sie es sich drin gemütlich, heizen Sie den Kamin an, gönnen Sie sich eine Flasche Wein. Ich komme, so bald ich kann. Alles klar, Colin?«
»Ja, Bert – ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wusste, Sie würden eine Lösung finden.«
»Die Lösung wohl nicht. Aber wir haben jedenfalls Zeit zum Überlegen. Jetzt aber los!«
Eine halbe Stunde später schaufelten Polly und Chandler Rühreier mit Pilzen und Zwiebeln in sich rein, dazu fast ein Pfund besonders dicker Schinkenspeck-Scheiben, englische Muffins, die vor zerlaufener Butter und Erdbeermarmelade trieften, und Neuengland-Kaffee, »regulär« serviert, wie Percy es nannte, das hieß, mit viel Sahne und Zucker. Percy fragte Polly über ihren Job aus, während Chandler mit seinen Gedanken vorauseilte. Er wollte möglichst rasch aufbrechen.
Bert Prosser kannte sich in solchen Dingen aus; Gott weiß, was für Aufträge er in den Vierzigern für die Regierung erledigt 202
hatte. Und wenn er davor warnte, sich allzu sicher vor diesen Hundesöhnen zu fühlen, dann hatte er Recht. Die Zeit drängte –
sie mussten los.
Percy brachte sie zum Wagen. »Geben Sie auf sich acht«, mahnte er. »Den Weg nach Johnston kennen Sie. Haben Sie auch nichts vergessen? Sie werden mir fehlen, Sie beide. Lassen Sie mich wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Ich will’s nicht erst aus dem Fernsehen erfahren. Und kommen Sie mal übers Wochenende raus.« Schließlich klopfte er als Zeichen zum Aufbruch auf das Dach des heruntergekommenen braunen Gefährts und winkte, als Chandler in engem Bogen wendete und die Auffahrt hinunter fuhr. »Seien Sie vorsichtig!« Chandler nickte und hielt bestätigend die Daumen hoch; dann waren sie wieder unterwegs.
Sie folgten der langsameren, weniger frequentierten Straße, die sich durch eine Stadt nach der anderen die Küste entlangzog.
Es war langweilig, aber er fand, dass es am wichtigsten war, den Ort ihrer letzten Stippvisite hinter sich zu lassen. Ein Verfolger würde annehmen, dass sie sich über den schnelleren Freeway aus
Weitere Kostenlose Bücher