Aquila
antworten.«
»Bringen Sie mich nicht auf die Palme: Sie wissen, was ich 205
meine.«
»Ja, weiß ich. Essen wir erst mal was.«
Sie hielten vor einem Howard-Johnson-Rasthaus auf der anderen Straßenseite. Zu ihrer Überraschung merkten sie, dass sie hungrig waren. Sie bestellten überbackene Muscheln und Steaks und schütteten riesige Mengen Kaffee in sich hinein, während sie sich leise unterhielten. Die meiste Zeit redete Chandler. Als Polly ihr Steak aufgegessen hatte, stahl sie ein paar Bissen von Chandler.
»Tatsache ist«, behauptete er, »dass George Washington kein Verräter war, kein englischer Spion. Jede andere
Schlussfolgerung ist einfach absurd. Es gibt nirgends einen eindeutigen Beweis dafür, dass Washington auch nur im Geringsten korrumpierbar war …« Er hob die Hand, um ihren Einwand abzuwehren. »Bitte, reden Sie nicht mit vollem Mund!
Ich sagte, keinen eindeutigen Beweis – was nicht heißen soll, dass es keine zweideutigen Beweise gibt. Davon gibt es sogar eine Menge.«
»Das hab ich in der Schule nicht gelernt«, erklärte sie knapp.
»Und Sie hatten Geschichte als Hauptfach!«
»Nicht amerikanische Geschichte, sondern englische. Zu George Washington bin ich erst spät vorgestoßen. Spät und nur oberflächlich.« Sie verzog das Gesicht. »Dafür weiß ich alles über die Plantagenets. Kann ich den Rest von Ihrer gebackenen Kartoffel haben?«
»Schon damals gab es allerlei Verschwörungen und üble Machenschaften – die hat nicht erst Nixon erfunden. Vieles würden Sie gar nicht glauben. Jeder hat seine Ränke geschmiedet – in Paris, in London, in Boston, in New York, auf hoher See … König George, zum Beispiel, ließ Franklin in Paris einen Brief zustellen, in dem er ihn aufforderte, am Montag, dem 6. Juli, im Chorraum von Notre Dame einen Mann zu treffen, der eine Rose im Knopfloch trug und Bilder auf seinen Block zeichnete … Franklin sollte persönlich erscheinen. Er 206
ging nicht hin. Man hat einen kleinen Mann ankommen, warten und wieder weggehen sehen. Keiner konnte je beweisen, dass der König ihn geschickt hatte. Er hieß Jennings. Vielleicht hat es auch niemanden interessiert, weil es zu viele Verschwörungen gab.«
Der braune Wagen fuhr in leichte Nebelschwaden hinein, die vom Atlantik herüberwehten. Ihr kühler, reiner Geruch füllte den Innenraum. Er drückte sich mit gestreckten Armen in den Sitz und spürte, wie das Lenkrad unter seinen Händen ganz leicht nachgab. Nun sah er die Dinge klar, alles ergab einen Sinn. Gott sei Dank; denn er musste Prosser Rede und Antwort stehen. Bert konnte ekelhaft werden, wenn man keinen kühlen Kopf bewahrte – ganz gleich, was man durchgemacht hatte.
Wahrscheinlich hatte er das von all den Präsidenten gelernt, die er in Krisenzeiten beraten hatte: Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson, Nixon, Ford … Chandler war jedenfalls bereit.
Neben ihm befingerte Polly immer noch das Päckchen und versuchte in Gedanken, seinen wahren Wert abzuschätzen.
»Vermutlich hätte Davis jeden stattlichen Mann für
Washington gehalten, nachdem er die Szene im Wald
beobachtet und die Unterschrift gesehen hatte. Wie sollen wir das jetzt klären?«
»Diesen Trick beherrscht der Zauberer leider nicht«, seufzte Chandler.
»Sie meinen, es läuft darauf hinaus, dass man entweder glaubt, dass die Unterschrift gefälscht ist, oder eben nicht?«
»Vielleicht. Es sei denn, Prosser fällt etwas ein.«
»Wir haben also ein Dokument, für das Menschen getötet wurden, aber erstens beweist es nichts, und zweitens bedeutet es nichts …«
»Für manche schon«, erwiderte Chandler.
»Es ist ein Macguffin.«
»Stimmt«, bestätigte er.
»Ich mache ein Nickerchen«, meinte sie. »Das hier ermüdet 207
mein Gehirn.«
»Sie wollten doch mitkommen.«
Sie rutschte zu ihm hinüber und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Stört Sie das?«, fragte sie leise.
»Kein bisschen. Ich könnte mich dran gewöhnen.«
Thorny erwachte erschöpft und klamm, als hätte er in Flammen gestanden und jemand hätte einen Eimer Wasser über ihn geschüttet. Langsam öffnete er die Augen. Er starrte auf die beige Decke, sah die grauen Wolken über dem Busbahnhof und der U-Bahn-Endstation, hörte das Quietschen und Klappern des Triebwagens, der sich aufwärts ins Tageslicht kämpfte wie ein gigantischer, mechanisch betriebener Maulwurf. Der anklagende Hals der leeren Ginflasche auf dem Nachttisch zielte auf ihn wie ein Kanonenrohr. Er hatte unerträgliche
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