Aquila
mit dem bandagierten Kopf bot keinen besonders erhebenden Anblick. Er stank buchstäblich aus sämtlichen Löchern, Blut füllte seine Augenhöhlen und gerann in seinen Nasenlöchern. Dazu Brennan. Zuerst hatten sie gedacht, er sei tot, doch er war nur bewusstlos. Als sie dann den Alten anrufen wollten, meldete sich niemand. Nichts als Ärger.
Sie hatten sich ins Auto gesetzt und waren durch den starken Verkehr mühselig nach Kennebunkport gelangt. Aber das Seafoam Inn war verschlossen. In der Auffahrt fanden sie den sattsam bekannten Pepitahut plattgewalzt im Matsch.
»Ja, ja«, seufzte Liam. Er trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch und blieb zu allem Überfluss mit zwei Fingern im verkleckerten Ahornsirup kleben. »Scheiße, Andrew – Scheiße, Scheiße.« Er sprach leise, wie immer, denn es lohnte sich nicht, die Stimme zu heben. Er tauchte die Finger in sein Wasserglas und rieb sie aneinander, dann trocknete er sie an der Serviette ab.
»Was sollen wir tun? Was meinst du?«
»Uns umbringen.«
»Der einfache Weg. Feigling.«
»Wir finden den Alten nicht, wir finden niemanden im Seafoam Inn. Der Scheißkerl mit dem ulkigen Hut ist auf und 234
davon, und wir wissen nicht, wohin.« Andrew stieß eine Rauchwolke aus, dann blickte er wieder in Liams betrübtes Gesicht. »Schau uns an, Liam. Wir beide haben so dicke Säcke unter den Augen, als hätten wir da die Verpflegung für die Red Sox gebunkert.«
»Nehmen wir ein Motelzimmer und hauen uns hin.«
»Aber wir brauchen einen Plan«, wandte Andrew zaghaft ein.
Wie alle Agenten im Einsatz, hassten sie es, auf sich allein gestellt zu sein, ohne Anweisungen, ohne zu wissen, was anstand.
»Morgen früh erreichen wir vielleicht Langley. Kann sein, dass sie die ganze blöde Chose abblasen.«
»Wonach suchen wir eigentlich? Was meinst du?«
»Ich denke, es ist einfach ein saublöder Auftrag, noch blöder als sonst. Hätten wir ihn doch nie gekriegt! Ist mir piepegal, worum es geht. Ich möchte bloß wieder unter zivilisierte Menschen. Ich will an meinem Schreibtisch sitzen, im Garten Steaks grillen und mich von meiner Frau anmotzen lassen …«
Der Nebel klebte am Boden, hing in den Bäumen und perlte wie Regentropfen auf ihren Gesichtern. Sie waren in der einen Stunde sehr langsam vorwärts gekommen, ohne genaue
Richtung, einfach unter den Bäumen entlang, bis Prassers Sommerhaus weit hinter ihnen lag. Eine Zeit lang hatten sie noch den Feuerschein des brennenden Wagens im Blickfeld, doch er wurde immer kleiner und sank schließlich in sich zusammen. Sie schienen tiefer in den Wald zu geraten und keuchten und schwitzten, bis Chandler eine Pause vorschlug. Zu dem Zeitpunkt hörten sie so etwas wie einen Schuss, doch es hätte auch etwas anderes sein können.
Sie ruhten sich im Dunkeln aus. Der Nebel kam und ging, doch zum Glück leuchtete ein blasser Mond durch die Wolken, der ihnen die Orientierung ermöglichte. Nach einer kurzen Rast gingen sie weiter. Chandler schleppte die Tasche und folgte 235
Polly, die sich umsichtig auf dem glitschigen Gras unter den Bäumen bewegte. Manchmal rutschten sie auf Eis- und Schneeresten aus. Es schien bergauf zu gehen, aber ganz sicher waren sie nicht, bis Polly über die Schulter rief: »Riechst du’s auch? Das Meer! Komm hier hoch!« Aus Angst, die Tasche nicht wiederzufinden, wagte er nicht, sie abzusetzen. So kletterte er mühsam den immer steiler nach oben führenden Hang hinauf.
Als er stöhnend und fluchend zu ihr aufschloss, zog sie ihn an sich. »Hoffentlich kriegst du keinen Herzinfarkt!«
»Mach dich nicht lächerlich. Ich bin besser drauf als je zuvor.«
»Was heißt das schon! Riech mal – das Meer. Seegras und Algen und Sand und so weiter.«
»Stimmt«, meinte er schnüffelnd.
»Dann wissen wir ja, wo wir sind.«
»Ich nicht.«
»Morgen früh wirst du’s wissen, wenn wir die Karte sehen.
Wir sind dicht am Wasser, nicht weit weg von Prossers Haus.«
Sie holte tief Luft. »Morgen kommen wir an die Straße –«
»Und werden von den blutrünstigen Verrückten geschnappt, vor denen wir uns verstecken.«
»Willst du etwa nach Bar Harbor laufen?«
»Ich möchte bloß vorsichtig sein.«
Sie liefen oben auf der Anhöhe weiter. Chandler spürte Sand unter den Füßen. Der Wind peitschte nun schärfer auf sie ein.
Als er hörte, wie sich zwischen den Büschen etwas bewegte, prickelte die Haut in seinem Nacken.
»Wir können nicht die ganze Nacht durchmarschieren«, sagte er. »Wir müssen
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