Arabellas Geheimnis
Mit wild klopfendem Herzen begann sie zu schreien und hoffte, dass ihre Schreie bis zum Marktplatz zu hören waren.
Ihr Pferd fing unter ihr an zu tänzeln. Wieder wünschte sie sich, sie hätte noch das kleine Messer, das sie damals in dem uralten Ring aus Eichen an Tristan verloren hatte. Hätte sie doch nur irgendeine Waffe!
Sie stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken und riss das Tier scharf nach rechts. Bevor das Pferd Tempo aufnehmen konnte, holte der unbekannte Reiter sie ein, zerrte sie aus dem Sattel und hinüber auf sein Reittier. Sie trat und schlug um sich, doch Litsens Freund war ein junger Mann, stark wie ein Ochse und mit Muskeln so dick wie Baumstämme. Schon nach wenigen Augenblicken konnte sie sich nicht mehr rühren, und das Ungeheuer hielt ihr mit harter Hand den Mund zu.
Arabellas Rücken wurde unangenehm durchgebogen, als der Kerl sie jetzt auf seine Knie presste.
„Nun, edles Fräulein.“ Ivan Litsens Stimme drang an ihr Ohr, noch bevor sie aus ihrer misslichen Position heraus seine Stiefel und die Beine seines Pferdes erblicken konnte. „Wie reizend, Euch unter wesentlich angenehmeren Umständen wiederzusehen.“
Der Atem brannte ihr in den Lungen und das Blut stieg ihr in den Kopf. Arabella konnte sich nicht vorstellen, was dieser Mann von ihr wollte. Kein Mann würde Hunderte von Meilen reisen, nur um eine Frau zugrunde zu richten. Dieser Mann führte etwas anderes im Schilde. Und warum hatten die beiden nicht auch Rosalyn gejagt? Vielleicht gab es auch noch mehr Angreifer, die sie vielleicht nicht bemerkt hatte?
Der Gedanke ließ ihr für einen Moment das Herz stillstehen.
„Das kann ich von mir nicht behaupten, Sir“, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor, nachdem das Ungeheuer sie aufrecht vor sich hingesetzt hatte.
Sie konnte jetzt sehen, dass ihr Räuber groß und hellhaarig war. Seine Züge waren wie gemeißelt, und es war keine Regung in ihnen zu erkennen. Seine Augen waren von einer dumpfen, schlammigen Farbe, die Arabella nicht näher bestimmen konnte.
„Ich werde sie halten.“ Der Mann bewegte kaum die farblosen Lippen, als er zu Ivan sprach. Seine Worte waren englisch, aber er hörte sich nicht wie ein gebürtiger Engländer an. „Du musst dir die andere beschaffen, während die Gesellschaft ausschwärmt, um nach der hier zu suchen.“
„Ja. Kann sein, dass ich bis zum Einbruch der Nacht warten muss, aber ich werde mit ihr zurückkommen.“ Ivan schwitzte heftig. Man konnte seine Anspannung förmlich riechen.
„Wenn du sie heute Abend nicht erwischst, werden wir unsere Verluste mit dieser hier wettmachen.“ Der große Mann griff Arabella an die Wange und drehte ihr Gesicht nach oben. Dass seine eine Hand so sanft war, während die andere sie gefangen hielt, verursachte Arabella Übelkeit.
„Sie wird die Mühe wert sein, Thadus.“ Ivan schien auf ein Zeichen des großen Mannes zu warten, bevor er davonritt.
„Sie findet meinen Beifall. Jetzt beeile dich, sonst nehme ich sie für mich selbst und lasse dich hier.“
Ivan entfernte sich, und Arabella blieb mit dem Mann, der Thadus hieß, allein zurück. Es tat ihr fast leid, Ivan fortreiten zu sehen. Trotz seiner schleimigen Art erschien er ihr weniger gefährlich als der kalte Mann, der sie jetzt anstarrte.
„Runter.“
Arabella zögerte nur einen Augenblick.
„Runter.“ Thadus riss an ihren Armen, und Arabella fiel zu Boden. Sie versuchte, nicht den Kopf zu verlieren. Ihre einzige Hoffnung war, diesen Mann zu überlisten.
„Los, steh auf. Noch ein Ton, und ich schlitze deiner Freundin die Kehle auf, wenn Ivan mit ihr hierher zurückkehrt. Aber schon Deinetwegen hat sich meine Reise bereits gelohnt, und ich werde alles tun, um dich gefügig zu machen.“
Arabella bekam weiche Knie bei diesen Worten. Ihr war klar, dass er seine Drohung wahr machen würde, denn seinen Augen fehlte jede Menschlichkeit. Natürlich wusste sie nicht, wessen Kehle in Gefahr war. Rosalyns? Oder die einer anderen Frau aus dem böhmischen Gefolge? Nicht dass es eine Rolle spielte, denn Arabella wollte niemanden in Gefahr bringen.
Thadus holte eine Kette aus einer Satteltasche und benutzte das schwere Metall, um ihr die Hände zu binden. Während er beschäftigt war, hatte Arabella einen Augenblick lang Zeit, ihren Entführer unauffällig näher zu betrachten. Er war beinahe so groß wie Tristan und ebenso breitschultrig. Alles an ihm war hell – sein Haar, seine Augen, seine Haut – und äußerst gepflegt.
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