Arabellas Geheimnis
Morgen ließ er einen hiesigen Arzt kommen, der Tristan untersuchen sollte. Aber nachdem er seinen Freund versorgt wusste, musste er sich wegen der anstehenden Besuche Prinzessin Annes beim Earl, der des Königs Onkel war, und bei einigen anderen Edlen auf den Weg machen.
Da sie nicht wagte, irgendjemanden nach Tristans Gemach zu fragen, schlich Arabella auf der Suche nach seiner Kammer durch das kleine Schloss Rochester. Nach etlichen missglückten Versuchen entdeckte sie eine Magd, die mit einem großen Kessel in der Hand ein Turmzimmer verließ.
„Sag mir bitte“, meinte Arabella und warf einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass niemand mithörte, „ist das die Kammer des verwundeten Ritters, der einen Arzt braucht?“
„Ja, Edle Dame“, antwortete die Magd und hob den Kessel auf ihre andere Hüfte. „Ist er auf dem Weg?“
Arabella wurde zornig wegen der Annahme, dass sie nicht der Doktor sei. Aber während der Gespräche mit Prinzessin Anne hatte sie erfahren, dass das Leben hier ganz anders war als das Leben in Böhmen. Von Frauen wurde nicht erwartet, dass sie solchen Aufgaben nachkamen, wie es für Frauen in Arabellas Heimatland üblich war.
„Ich bin die Frau des Doktors. Der Doktor kann heute nicht mehr kommen, weil er sich um den Ausbruch einer ansteckenden Krankheit ein paar Tagesreisen von hier kümmern muss. Aber ich bin an seiner Stelle hier, um zu helfen, wo ich kann.“ Wegen ihres fremdartigen Aussehens und der Tatsache, dass sie sicher kein akzentfreies Englisch sprach, bezweifelte Arabella, dass das Mädchen ihr glauben würde.
Also wartete sie dessen Reaktion gar nicht erst ab, sondern stieg die wenigen verbleibenden Stufen in die kleine Kammer hinauf, wo sie entdeckte, dass die Bettvorhänge zugezogen waren und eine tödliche Stille in dem engen Raum herrschte. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie Tristans große Gestalt erkennen, die auf einem breiten Bett lag. Sie brauchte noch einen Augenblick, bis sie merkte, dass er nicht auf dem Bauch lag, wie er es bei seiner Verletzung sollte, sondern auf dem Rücken.
„Wer ist für ihn verantwortlich?“ Arabella wandte sich an eine weitere Magd, die sich zwischen den Vorhängen hindurchbeugte und Tristan mit einem feuchten Tuch die Stirn wischte.
„Wir kümmern uns um ihn, bis der Arzt da ist.“ Das Mädchen richtete sich auf und blies sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Wer hat ihn auf den Rücken gelegt?“, fragte Arabella. Wie um Himmels willen konnte jemand so unwissend sein, einen Körper auf die am stärksten verletzte Stelle zu betten?
„Sir Simons Männer brachten ihn hierher.“ Das rotgesichtige Mädchen schien ebenso gereizt zu sein wie Arabella. Vielleicht war sie es, weil sie sich jetzt auch noch um einen kranken Mann kümmern musste.
Arabella schlug einen anderen Ton an und hoffte, dass die Frau noch ein wenig mehr guten Willen zeigen würde.
„Er liegt genau auf seiner Wunde. Würdest du mir helfen, ihn umzudrehen?“
Wenn eines der Mädchen es sonderbar fand, dass die Frau des Doktors ohne hinzuschauen wusste, wo der Ritter verwundet war, so ließ es sich zumindest keine anmerken.
Die beiden Frauen eilten zu Arabella, und gemeinsam gelang es ihnen, Tristan auf die andere Seite zu verlagern, sodass der tiefe Stich in seinem Rücken zugänglich war.
„Ich brauche mehr warmes Wasser und sauberes Leinen.“ Sie hätte auch gerne einen Posten vor der Tür gehabt, der ihr Simons Rückkehr melden würde. Doch darum bat sie nicht. Sie würde Tristan pflegen, so lange sie konnte.
Kaum waren die Mädchen fort, riss sie die Bettvorhänge ganz auf und ging zu einer alten Schießscharte, die jetzt mit einem Wandvorhang bedeckt war. Sie schob ihn beiseite, damit wenigstens ein wenig Tageslicht in die Kammer dringen konnte. Sie musste die Wunde gründlich untersuchen. Und sie war nicht der Meinung, dass ein Körper Dunkelheit benötigte, um gesund zu werden. Als sie sich wieder Tristan zuwandte, entdeckte sie Anzeichen eines schweren Fiebers, obwohl die Wunde nicht entzündet aussah. Wenn sie es ihm erst einmal etwas angenehmer gemacht hatte, würde sie die klaffende Wunde sauber nähen.
Tristans bleiche Haut war so heiß, dass sie Arabellas Hand zu verbrennen schien. Sie griff nach ihrem Kräuterbeutel und holte daraus die rosafarbenen Blüten des Tausendgüldenkrauts hervor, um das Fieber zu senken. Nachdem sie sieben der größten Blüten ausgesucht hatte,
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