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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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strategischer Raum umrissen worden, wo die islamistische Untergrundbewegung zur ständigen Gefahr heranwachsen könnte. Fast ganz Mauretanien gehört dazu sowie das Staatsgebiet von Mali nördlich der Niger-Schleife. Auch Teile der Republik Niger und die westliche Hälfte des Tschad sind von dieser Verschwörung betroffen, die weit in die algerische Sahara, aber auch bis in die Hauptstadt Algier hineinreicht. Die Geiselnahmendrohen sich auszuweiten, so daß sich die Hoffnung des malischen Staatschefs Amanou Toumani-Touré zerschlägt, sein malerisches, immer noch von geschichtlichem Glanz gezeichnetes Land der gewaltigen Lehm-Moscheen zu einem Anziehungspunkt für europäische Urlauber zu machen. Der Quai d’Orsay warnt sämt­liche Franzosen, die sich in dieser romantischen Welt des oberen Niger bewegen, vor allem die Stadt Timbuktu aufzusuchen, die schon im frühen Mittelalter einen magischen Ruf genoß. »As far away as Timbuktu« hieß es einst bei den englischen Geographen, wenn sie ratlos dieses unerforschte Herzland Afrikas erwähnten.
    Nach dem erzwungenen Verzicht auf den vulgären Urlaubsbetrieb hat Timbuktu ein wenig von seiner geheimnisvollen Aura zurückgewonnen, nähert sich wieder jenem Zustand an, den ich im Sommer 1956 vorgefunden hatte. Diese erhabene Zitadelle islamischer Gelehrsamkeit und Kultur, die die arabischen Chronisten des Mittelalters gefeiert hatten, befand sich längst im steilen Niedergang, reduzierte sich, wie ein enttäuschter Reisender schrieb, auf zwei Drittel Legende und ein Drittel Lehm.
    Dennoch war ich mit großen Erwartungen am Anliegeplatz Gao an Bord des altertümlichen Schaufeldampfers »Archambault« gegangen. Daß sich hinter den massiven, schmucklosen Erdmauern von Gao die Hauptstadt jenes Songhai-Reiches befand, dessen Einfluß um 1500 vom heutigen Nord-Nigeria bis zum Atlantik reichte, würde man am liebsten ins Reich der Fabel verweisen. Aber die ­Sahelzone kann tatsächlich auf hohe staatliche Entfaltungsformen verweisen, die historisch belegt sind. So soll schon im fünften Jahrhundert das Reich Ghana entstanden sein, dessen Name von der britischen »Goldküste« usurpiert wurde, als sie 1956 als erster postkolonialer Staat in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Das historische Ghana hatte sich nicht im Hinterland des Hafens Accra erstreckt, sondern am oberen Niger und am Senegal. Die ganze ­Region besaß schon in früher Zeit eine beachtliche Bedeutung als Umschlagplatz für den Handel mit Gold und Elfenbein, mit Salz und Sklaven, die quer durch den Kontinent in Richtung Mittelmeer und Orient transportiert wurden.
    DerUntergang des alten Ghana soll um das Jahr 1070 stattgefunden haben, als die muslimischen Berber Mauretaniens heranstürmten und eine Phase des Niedergangs und der Anarchie für die ganze Sahel- und Sudan-Zone einleiteten. Die eifernde maurische Bruderschaft der Almoraviden, »el Murabitun«, war aus ihren befestigten Klöstern in der West-Sahara aufgebrochen, um die dekadenten, den wahren Tugenden des Islam entfremdeten Herrscher Marokkos zu stürzen. In Marrakesch hatten sie eine neue Dynastie gegründet. Jenseits der Straße von Gibraltar konsolidierten sie die bedrohte Dominanz der Sarazenen über Spanien. Der Name »el Murabitun« leitet sich von dem Wort »Ribat« ab, womit die Trutzburgen koranischer Erneuerung gemeint waren.
    Etwas Wohlstand und Stabilität stellten sich erst wieder ein, als auf dem Territorium der ehemaligen Songhai-Fürsten das Reich Mali entstand, dessen Herrscher sich zum Islam bekehrten, während die Masse der unterworfenen schwarzen Bevölkerung ihre animistischen Bräuche beibehielt. Die strenge religiöse Disziplin der Botschaft Mohammeds führte eine gewisse Effizienz der Verwaltung und des Handels ein und erreichte den Höhepunkt ihrer Bedeutung – das war ungefähr die Epoche, als Ibn Battuta die Hauptstadt Niani aufsuchte –, als der Malik Mansa Musa regierte. Unter Mansa Musa vollzog sich der Aufstieg Timbuktus zu einer Stätte der Wissenschaft und kulturellen Blüte, was im wesentlichen der Zuwanderung ma­ghrebinischer und ägyptischer Gelehrter zu verdanken war.
    Schon um das Jahr 1400 brach das Mali-Imperium unter dem Druck seiner früheren Songhai-Vasallen zusammen, deren Verwaltung sich angeblich auf eine Berufsarmee und sogar eine Berufs­marine auf

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