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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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er mir mit ironischer Geringschätzung dieser Amateur-Revolutionäre geantwortet: »Für uns kann von Barri­kaden nur die Rede sein, wenn dahinter Gewehre im Anschlag liegen.«
    Ob Facebook und Twitter wirklich eine grundsätzlich neue und erfolgreiche Strategie des politischen Umsturzes eingeleitet haben und wie etwa die »improvised explosive devices« und andere Tücken des »asymmetric war« die konventionelle Kampfführung einer weit überlegenen Besatzungsmacht lahmlegen können, bleibt dahingestellt. Der elektronische Kontakt, die Aufrufe zur gemeinsamen Zusammenballung der meist jugendlichen Regimegegner – denen sichdie Frauen, auch wenn sie tugendhaft weiterhin das Kopftuch ­tra­gen, mit besonderem Engagement, mit eindrucksvollem Mut anschlossen – haben doch nur eine Vielzahl von Menschen zusammengebracht, die von »hurriaht« und »dimokratiya« träumten, aber keine Vorstellung davon hatten, wie sie die glorreiche Zukunft gestalten sollten. Die Solidarisierung per Facebook ersetzte keine persönliche Nähe, und es fehlte diesen Zufallsverbündeten, die den Sturz Mubaraks forderten, aber die Streitkräfte von Vorwürfen verschonten, auch der unentbehrliche instinktive Zusammenhalt. Was die politischen Anführer der Revolution betrifft, so verfügte der ehemalige Vorsitzende der Internationalen Atombehörde, der hochangesehene Großbürger Mohammed el-Baradei, nicht über die Nähe zum Volk und jenen Schuß Demagogie, die in solchen Situationen unentbehrlich sind. Auch der führende Vorsitzende der Arabischen Liga, Amr Musa, kam allenfalls als Übergangsfigur in Frage und stieß bei den Revoluzzern auf verständliches Mißtrauen. Die Tahrir-Begeisterung litt unter der Anonymität ihrer Rekrutierung, an einer Fremdheit von Agitatoren, die sich niemals getroffen hatten und keine persönliche Verbindung entwickeln konnten.
    Die Amerikanerin Tina Rosenberg schreibt dazu: »Um den Menschen den Mut und den Willen zu verleihen, auf die Straße zu gehen und Gefahren zu trotzen, bedürfen sie des Bewußtseins, von wirklichen Freunden umgeben zu sein (und nicht von den Zufallsverschworenen einer Computer-Welt). Man wird lediglich die Kühnheit und Motivierung aufbringen, Verhaftungen in Kauf zu nehmen, an Tränengas zu ersticken, verprügelt zu werden und Schlimmeres, wenn man sich in Gesellschaft von Gleichgesinnten befindet, die einem persönlich nahestehen. Die Armeen haben stets gewußt, daß die enge regionale Kohäsion einer Einheit die beste Voraussetzung für kriegerischen Zusammenhalt und Effizienz bildet. Warum würde ein Soldat, der möglicherweise seinem Einsatz weder zustimmt noch ihn begreift, die Sicherheit seines Erdlochs verlassen und ins Feuer stürmen? Er wird es für die Kameraden in seiner Grabenstellung tun, die der Krieg sehr schnell in seine Kumpels verwandelt hat.«
    Ausdiesem Grunde wurden in vergangenen Feldzügen die Einheiten vorzugsweise in engbegrenzten Regionen rekrutiert, die sich charakterlich nahestanden. Dieses Gefüge einer geradezu fami­liären Verbundenheit hat es übrigens dem israelischen Heer erlaubt, seine erfolgreichsten Kampfhandlungen durchzuführen.
    Ãœber Facebook mobilisiert, sind Hunderttausende zum großen Umsturz auf dem Tahrir-Platz zusammengeströmt. Es bleibt kaum vorstellbar, daß der ägyptische Sicherheitsapparat, der aus Amerika mit den modernsten Ortungs- und Spürapparaten beliefert war, dieses Aufgebot nicht rechtzeitig wahrnahm, ebensowenig übrigens wie die ausländischen Abwehrdienste – Israel und USA an der Spitze –, die sonst vorgeben, die Flöhe husten zu hören. Diese Unzulänglichkeit der mit phantastischen Überwachungsmethoden ausgestatteten Spionagedienste – das gleiche galt seinerzeit auch für die Khomeini-Revolution im Iran – gibt manches Rätsel auf und läßt daran zweifeln, ob sie den Herausforderungen eines bevorstehenden Cyberwars gewachsen sind.
    Nur in einem Punkt waren sich die Aufrührer einig, nämlich in dem Verlangen, möglichst strenge Verurteilungen, eventuell die Todesstrafe, für Mubarak und seine engsten Verwandten und Komplizen zu erzwingen. Aber der ägyptische Präsident war aus einem anderen Holz geschnitzt als der profitbesessene tunesische Despot Zine el-Abidine Ben Ali. Die Zurückhaltung, auf

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