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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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die sich die ägyptische Armee ausgerichtet hatte, tat der Tatsache keinen Abbruch, daß der General der Luftwaffe Mubarak, der im Yom-Kippur-Krieg von 1973 eine gute Figur abgegeben hatte, bei den Soldaten immer noch über ein gewisses Ansehen verfügte. Viele Militärs dürften mit Entrüstung über das Fernsehen wahrgenommen haben, wie ihr früherer Rais hinter Gittern in der Polizeiakademie von Kairo – bettlägerig und krank – zur Schau gestellt wurde. Seine beiden Söhne versuchten sich vor ihren Vater zu stellen, den Koran in der Hand, um die Indiskretion der Kameras einzuschränken. Die enthusia­stischen Schreier von Tahrir nahmen erst allmählich zur Kenntnis, daß zwar bei den Militärs der Wunsch bestand, den gealterten und ­kranken Mann loszuwerden, der sich an seine Allmacht klammerte, daßsie jedoch dem entfesselten und unberechenbaren Straßenaufruhr von Möchtegern-Demokraten mit Mißtrauen, ja mit standesgemäßem Abscheu begegneten.
    Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking hatte sich ein vergleichbares Phänomen vollzogen. Eine Armee ist vor allem auf die Erhaltung der inneren Ordnung bedacht, und die Rivalitäten unter den hohen Offizieren werden durch einen anerzogenen »esprit de corps« in Grenzen gehalten. Bei den sukzessiven Militärdiktatoren, die seit 1952 in Kairo die Macht ausübten, handelte es sich ja nicht um die Söhne einer privilegierten Oberschicht oder eine feudale Adelskaste. Der bedeutendste von ihnen, Gamal Abdel Nasser, war zwar als Sohn eines Postbeamten in Alexandria geboren, aber seine Familie stammte aus einem ägyptischen Dorf bei ­Assiut im Süden des Landes. Anwar es-Sadat war Sohn einer Nubierin, was seine relativ dunkle Hautfarbe erklärt, und wurde von ­seiner Großmutter erzogen. Mohammed Hosni Mubarak kam aus dem ländlichen Milieu der Delta-Provinz Menoufiya. Diese Männer verstanden es, sich in der Sprache des einfachen Mannes aus­zudrücken und mit ihm wohlwollend umzugehen.
    In den geheimen Sitzungen der obersten Truppenführer hatte anfangs sogar der Chef sämtlicher Abwehrdienste, General Omar Soliman, ein enger Vertrauter Mubaraks, eine erhebliche Rolle gespielt. Aber dieser Spionagechef, der intensiven Kontakt zum israelischen Mossad gepflegt hatte und sich an der Einzwängung der Palästinenser des Gaza-Streifens durch Sperrung des Grenzübergangs von Rafah aktiv beteiligt hatte, mußte schnell von der Bühne abtreten. Um die Vakanz an der Spitze des Staates provisorisch zu überbrücken, einigte man sich auf keinen Geringeren als den amtierenden Verteidigungsminister und Generalstabschef Feldmarschall Mohammed Hussein Soliman Tantawi, der, wie so viele seiner Kollegen, aus einfachen Verhältnissen stammte und dessen Bruder, der es ebenfalls zu hohem militärischen Rang gebracht hatte, auf den schönen Vornamen »Hitler« hört.
    Der erste Zwist zwischen den begeisterten Anwärtern der Demokratie auf Tahrir und der Generals-Camarilla, die nach der AbdankungMubaraks eine kollektive Militärdiktatur ausübte, entzündete sich zunächst an der Forderung der zu Recht empörten Massen, die Hauptverantwortlichen des alten Regimes, deren Folterknechte und Polizeischergen, die etwa achthundert Demonstranten er­mordet hatten, vor Gericht zu bringen. Aus guten Gründen hatte während des Krieges »Iraqi Freedom« die amerikanische CIA verdächtige El-Qaida-Mitglieder nach Kairo verfrachtet, wo die vermutlichen Terroristen Folter- oder Verhörprozeduren unterwor­fen wurden, die selbst den amerikanischen Spezialisten des »water ­boarding« widerstrebten. Jetzt setzte eine Treibjagd auf die Ordnungshüter, auch die harmlosen unter ihnen, ein, die schleunigst ihre Uniform auszogen und deren Absenz eine ungehemmte Kriminalität auslöste. Die verängstigte Zivilbevölkerung suchte dieser Gefährdung durch Bildung eigener Vigilanten-Trupps zu begegnen und bewaffnete sich mit mächtigen Knüppeln, die auf den Märkten zum Verkauf angeboten wurden.
    Zu diesem Wirrwarr gesellten sich der wirtschaftliche Niedergang und vor allem der totale Zusammenbruch des Touristengeschäfts, das bislang zu den Haupteinnahmequellen zählte. Im ohnehin übervölkerten schmalen Agrarschlauch des Nils hatte stets Armut geherrscht. Jetzt kamen aber auch zahlreiche Industriezweige zum Erliegen.

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