Arabiens Stunde der Wahrheit
ägyptische Identität. Das Wort »Araber« hatte damals in Kairo und Alexandrien keinen sonderlich guten Klang. Faruk I., der letzte Nachfolger Mohammed Alis, der ab 1951 den Titel »König von Ãgypten und Sudan« trug, war der erste seiner Dynastie, der die arabische Sprache flieÃend beherrschte.
Was sich nach der festlichen Eröffnung des Suezkanals zu den Klängen der Oper »Aida« in Ãgypten abspielte, liegt für einen Menschen meiner Generation gar nicht so weit zurück. Unter Lord Kitchener nahm die britische Unterdrückung des aufkeimenden ägyptischen Widerstands gebieterische Formen an. Die Engländer zögerten nicht, jene Khediven abzusetzen, die sich als SympathiÂsanten der nationalen Emanzipation erwiesen. Sie wurden durch geÂfügigere Angehörige der Dynastie abgelöst. Als das Osmanische Reich im Oktober 1914 auf seiten der Mittelmächte in den Weltkrieg eintrat, traf London die längst fällige Entscheidung. Ãgypten wurde zum britischen Protektorat. Die letzten lockeren Bindungen an die Hohe Pforte wurden abgebrochen. Aber bei der Bevölkerung,in der ägyptischen Armee, vor allem auch in den zahllosen Moscheen der sunnitischen Gläubigen steigerte sich die Ablehnung Albions zu blankem HaÃ.
Als nach dem Sieg der Alliierten der ägyptische Sultan Hussein Kamel die Teilnahme einer selbständigen Delegation â auf arabisch »Wafd« â an der Pariser Friedenskonferenz forderte, stieà er auf die strikte Weigerung der Londoner Regierung. Diese Demütigung führte zu schweren blutigen Unruhen. Von nun an sollte die Wafd-Partei unter Zaghlul Pascha sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung stellen und eine Verfassung verkünden, die die reale Machtausübung einer einheimischen Oligarchie reicher GroÃgrundbesitzer übertrug. Hussein Kamel, inzwischen mit dem Titel eines »Königs« ausgestattet, stand bei allem Argwohn gegen die britische Besatzung auch der Wafd-Bewegung kritisch gegenüber und setzte sogar die von ihr entworfene Verfassung auÃer Kraft.
Zwischen den beiden Weltkriegen verstärkten sich jene profunden Strömungen, die die ägyptische Politik bis auf den heutigen Tag überschatten: die politische Radikalisierung der Armee einerseits, das Erwachen einer fremdenfeindlichen, strengen Religiosität der islamischen Gläubigen andererseits. Die Spannungen, zeitweilig auch die heimliche Komplizenschaft zwischen diesen beiden Urkräften lasten in der heutigen Phase der sogenannten »Arabellion« wie eine Gewitterwolke über dem Niltal.
GroÃe Hoffnung kam bei den ägyptischen Patrioten auf, als das deutsche Afrikakorps Erwin Rommels sich den Weg nach Alexandria und Kairo freizukämpfen schien. Die Wehrmacht wäre mit gewaltigem Jubel empfangen worden. Zwischen gewissen Stäben der ägyptischen Armee und Agenten der deutschen Abwehr bestanden bereits intensive Kontakte. Die Briten sahen dem nicht untätig zu. Am 4. Februar 1942 fand ein dramatischer Vorgang statt, der als »great humiliation« â groÃe Erniedrigung â in Erinnerung bleibt. Der britische Botschafter, besser gesagt der britische Statthalter, lieà den Abdin-Palast von seinen Panzern umstellen und zwang König Faruk, den er verächtlich »the boy« zu nennen pflegte, Âeinen ÂPremierminister zu berufen, der im Gegensatz zu seinem VorgängerHassan Sirri-Pascha kein deklarierter Freund der Achsenmächte war. Faruk, der bis dahin eine gewisse Popularität genossen hatte, sah sich von nun an als Marionette GroÃbritanniens diskreditiert. Nach dem Durchbruch Montgomerys bei El Alamein war an ein deutsches Verbleiben in Nordafrika ohnehin nicht mehr zu denken. Kurz vor Kriegsende erklärte Kairo sogar dem GroÃdeutschen Reich den Krieg, um sich unter die Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen einreihen zu können.
Der nationalen Entrüstung war eine religiöse Erweckungswelle vorausgegangen. Um 1900 hatte Scheikh Mohammed Abduh, Professor an der El-Azhar-Universität, die Schule der »Salafiya« gegründet, die sich eine Reform der islamischen Rechtsprechung zum Ziel setzte. Im Pariser Exil war er Gamal ed-Din el-Afghani, einer anderen bedeutenden Persönlichkeit theologischen Umdenkens, begegnet, der panislamische, antikolonialistische Thesen vertrat. Es ist bezeichnend für den ständigen Wandel, dem
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