Arabiens Stunde der Wahrheit
hätte, die der freien Volksentscheidung entsprach oder eine Garantie der Menschenrechte gewährte. Das heiÃt nicht, daà die Länder auÃerhalb unseres Kulturraums auf alle Zeiten zu blutiger Tyrannei und ökonomischer Stagnation verurteilt wären. Aber den Staaten des islamischen Gürtels kann man nicht unbedingt empfehlen, den amerikanischen Kapitalismus, die britische Dekadenz oder den deutschen Parteienhader zu übernehmen. Sie werden â ähnlich wie China oder Brasilien â eigene Wege der sozialen Erneuerung finden müssen. Aber hier handelt es sich um ein grundsätzliches Problem, vor dem der Westen â in Verkennung seiner geschwundenen Bedeutung â krampfhaft die Augen verschlieÃt.
Nehmen wir das Beispiel Ãgyptens, das sich im Jahr 1922 unter dem wachsamen Auge der britischen Protektoratsmacht zu einem »unabhängigen« Königreich proklamieren durfte. Seit den glorreichenTagen des Sultans Saladin, dessen Ayyubiden-Dynastie um das Jahr 1200 nach einer Serie kriegerischer Verwicklungen einer mörderischen Verschwörung erlag, hatte sich im Niltal eine Regierungsform entwickelt, die allen abendländischen Vorstellungen absolut fremd war. 280 Jahre lang unterlag Ãgypten der Willkür der Mameluken, und bei denen handelte es sich um sogenannte »Militär-Sklaven«. Diese Mameluken wurden überwiegend als Knaben auf den Sklavenmärkten Ostanatoliens von rivalisierenden ägyptischen Beys gekauft, in deren Kasernen zu Elitesoldaten ausgebildet, ja in den Ritterstand erhoben. Aufgrund ihrer soldatischen Sachkenntnis und ihrer Brutalität löste diese neue Herrenschicht bei ihren erschlafften Gegnern Entsetzen und Unterwürfigkeit aus. Diese Emporkömmlinge, von denen einige den Titel eines Emirs oder Sultans beanspruchten, bildeten eine einzigartige Kriegerkaste, die mehrheitlich unter den rauhen Völkern des Kaukasus und den besonders gefürchteten turkmenischen Stämmen Zentralasiens rekrutiert wurde. Als einzige waren sie in der Lage, den mongolischen Horden Hülagüs und Tamerlans, die den ganzen Orient verwüstet hatten, erfolgreich standzuhalten. Der Mameluken-Sultan Baibars vertrieb die letzten Kreuzritter aus dem Heiligen Land.
Die Machtausübung in Ãgypten war der alteingesessenen Urbevölkerung längst entglitten und lag in den Händen fremder Minderheiten. Auch nach der Eroberung des Niltals durch den osmanischen Sultan Selim I. â den »Gestrengen«, wie die Türken, den »Grausamen«, wie die Christen ihn nannten â änderte sich nichts Wesentliches am bizarren Feudalsystem der Mameluken. Sie erkannten oberflächlich die Autorität des Padischah von Istanbul an, der inzwischen nach Erlöschen des letzten Schatten-Kalifen der Abbassiden diese höchste Würde des Islam für die osmanische Dynastie usurpiert hatte.
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Aus meinem Arbeitszimmer in Südfrankreich schweift der Blick über Agaven und Korkeichen auf das Mittelmeer, das durch den Mistral-Sturm in strahlendem Azur aufleuchtet. Beim letzten Abstechernach Nordafrika wurde mir bewuÃt, daà Algier vom Flugplatz Nizza aus wesentlich schneller zu erreichen ist als Berlin. Offenbar bedurfte es des maghrebinischen »Frühlings«, damit die Europäer die Bedeutung des Mittelmeeres, das »Mare Nostrum« der Römer als Schicksalsbühne erkannten.
An der Wand neben mir hängt ein einfältiges »Image dâEpinal«, ein Exemplar jener Kollektion napoleonischer Ruhmestaten, die â aus dem Vogesen-Städtchen Epinal stammend â die Franzosen der schmählichen bourbonischen Restauration mit nationaler NoÂstalgie jener Tage der »gloire« gedenken lieÃ, als ihnen Europa zu FüÃen lag. Die naive kleine Malerei, deren Kopien zu Beginn des 19. Jahrhunderts in unzähligen Ausgaben zirkulierten und heute noch bei den Bouquinisten des Seine-Ufers zu finden sind, stellt in diesem Fall den Sieg Napoleons über die Mameluken bei seinem Ãgypten-Feldzug dar. Der Text darunter ist ebenso simpel wie die bildliche Darstellung, die die Grenadiere der Garde Consulaire in trutziger Formation im Gefolge jenes Feldherrn zeigt, der sich wenige Jahre später zum »Empereur des Français« krönen sollte.
So lautet die Legende: »Am 21. Juli 1798 hatten sich 23 Beys der Mameluken mit ihren Kriegsscharen im Dorf Ambabé unweit
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