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Arabische Nächte

Arabische Nächte

Titel: Arabische Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Parker
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sich über seinen Zustand geäußert; keiner aber hatte ihn heilen können. Wenn die Erinnerung an die letzten zwei Jahre wieder käme, würde er vielleicht geheilt werden, schlugen sie vor, und boten ihm zu diesem Zweck "Opium und Gebete an. Zu Ersterem hatte er kein Vertrauen und an Letzteres glaubte er nicht.
    Der Gouverneur von Kalkutta hoffte, die Rückkehr nach England würde ihm Frieden verschaffen. Als er sich einverstanden erklärte, den Mirza nach London zu begleiten, hatte er sich in eine unerträgliche Situation begeben. An Bord hatte ihn die erzwungene Kameraderie mit Männern, die ihn gut kannten, mit denen ihn aber nichts mehr verband, an die Grenze seiner Beherrschung katapultiert. Und jetzt, auf dem Weg nach London, stand er dicht an einem Abgrund.
    Ekel vor sich selbst züngelte in seinem Inneren wie eine Natternbrut. Was war ein Mann nütze, der die Zügel seines Pferdes nicht mehr zu halten vermochte? Einer, der nicht einmal das Fleisch auf seinem Teller schneiden oder seine Breeches zuknöpfen konnte? Er, der früher als hervorragender Reiter und geübter Fechter gegolten hatte, war nun bei den simpelsten Verrichtungen unbeholfener als ein Kind. Am schlimmsten aber empfand er die Fragen, auf die er keine Antwort wusste.
    »Der Tod wäre besser!«, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen.
    Der Schmerz schoss wie eine weiß glühende Klinge auf einen Punkt unter der Wunde zu, die quer von der rechten Schläfe durch die rechte Augenbraue verlief. Ächzend hieb Devlyn mit der linken Faust mehrmals auf die Stirn ein, so fest, dass er fast eine Spur hinterließ. Es war ein Fehler gewesen, eine neue Aufgabe anzunehmen. Den Devlyn von früher gab es nicht mehr, und was aus ihm geworden war, konnte er nicht ertragen.
    Den Tod fürchtete er nicht, da er der ständige, wenn auch unstete Begleiter jedes Soldaten war, und das Leben von Freund und Feind gleichermaßen bedrohte. Nein, nicht die Furcht vor dem Tod jagte ihn, sondern die vor der Schande.
    Allmählich wurde er gewahr, dass unter ihm Wellen plätscherten und dass sich auf seinen Lippen Feuchtigkeit sammelte, die nicht von Tränen herrührte. Er hob den Kopf und suchte Halt, um sich auf das Geländer zu stemmen, da er eine Tat in Erwägung zog, die zu benennen er nicht über sich brachte.
    Dunkles, kaltes Wasser. Nichts einfacher, als sich leise hineingleiten und davontreiben zu lassen. Still. Ungesehen.
    Ein Unfall. Es würde ganz danach aussehen. Nichts Ungewöhnliches. Dunkelheit. Eine eisglatte Brücke in einer Nacht mit etwas Schneefall. Ein Fehltritt.
    Wie einfach, kopfüber ins Vergessen zu taumeln. Um wie viel besser für alle!
    »Für mich ...«
    Er schloss die Augen und ließ nun die Tränen ungehindert über seine Wangen fließen. Aber er war kein Feigling. Warum klammerte er sich nur so beharrlich an diesen Gedanken? Es war der einzige, der ihm im Bewusstsein geblieben war, nachdem der Schmerz ihn seiner Umgebung gegenüber blind und taub gemacht hatte. Wenn er ein Feigling gewesen wäre, hätte er der Pein ein Ende bereiten können. Dem Schmerz, der ... alles ... auslöschte!
    Ohne Zeitgefühl verharrte er endlos auf der Brücke. Als er wieder zu sich kam, waren seine Schultern mit einer feinen Schneeschicht bedeckt, und seine Gesichtszüge erstarrt von gefrorenen Tränen. Er kniete auf der Straße. Als er sich mühsam hochrappelte, waren seine Breeches steif vor eisiger Feuchtigkeit. Übelkeit stieg in ihm auf. Wut und Schmerz aber hatten sich verflüchtigt.
    Wie ein Betrunkener torkelte er zurück zum Gasthaus. Würde Winslow zulassen, dass er heute sein Lager teilte? Reisegefährten, selbst Offiziere, schliefen oft zu zweit in einem Bett. Er hatte den Kameraden in seinem Stolz zutiefst gekränkt. Nach schweren Differenzen konnte es vorkommen, dass sogar Freunde einander im Morgengrauen mit blanken Säbeln gegenüberstanden. Vielfeicht war es besser, nicht noch eine Konfrontation mit Winslow zu riskieren, da er sich nicht zutraute, in diesem Zustand der Schwäche sein unberechenbares Temperament zu zügeln.
    Ehe er sich anders besinnen konnte, ging er in den Stall. Manch einer würde sagen, er hätte seinen Posten verlassen. Doch hatte er just am Morgen zuvor die Erlaubnis eingeholt, sich für einige Tage von der Gruppe des Mirza zu trennen, sobald London erreicht war. Persönliche Angelegenheiten erforderten seine Präsenz. Und sobald diese geregelt waren, wollte er England und der Armee ohnehin für immer den Rücken

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