Arabische Nächte
sich verraten und gesagt, sie würde nicht so lange in London bleiben. Sie wollte ihre schwache Autorität bei den Schwestern nicht gefährden, indem sie ihnen die Kürze ihres Gastspiels auf die Nase band. »Schließlich bin ich hier fremd.«
»Au contraire! Ein neues Gesicht in der Stadt! Eine junge, nicht unbemittelte Witwe mit rotem Haar? Madam wird sehr begehrt sein, mais oui ! «
»Ja, Miss, warum probieren Sie es nicht an?«, ermutigte Peony sie.
»Ja, liebe Stiefmama, warum nicht?«, schmeichelte Laurel. Nichts wäre ihr lieber gewesen, als sich über diese unwillkommene Person lustig machen zu können. Ein unpassendes Ballkleid würde sie rasch als den Emporkömmling entlarven, der sie war.
»Nun, ich ...« Japonica blickte die Modistin Hilfe suchend an. »Soll ich?«
Madame Soti und ihre Helferinnen nickten, klatschten Beifall.
Mehr bedurfte es nicht. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich ein neues Kleid hatte machen lassen. Und eine Ballrobe aus einem Londoner Modesalon? Niemals!
In einem getrennten Probierraum half Madame Soti ihr, sich bis auf Hemd und Strümpfe auszukleiden.
Nach einem prüfenden Griff, der dem robusten Material der Unterwäsche ihrer Kundin galt, sagte sie bedauernd: »Das muss weg! Wir fangen von Grund auf an.«
Einige peinliche Minuten vergingen, während Japonica nackt dastand, bis sie neu eingekleidet war. Seidenstrümpfe mit einem Hauch Farbe, festgehalten von schleifengeschmückten
Strumpfbändern mit Rosetten. Ein kurzes Seidenhemdehen, so durchscheinend, dass der Schatten ihrer Figur sichtbar war, bedeckte nur das Nötigste.
Madame Soti umkreiste sie, während Japonica auf einem kleinen Podest stand, den Ellbogen mit einer Hand umfassend, die andere unterm Kinn. »Wir brauchen ein ganz leichtes Korselett, und für die Brust keine Wattierung.« Während die Näherin das Stück holte, tätschelte Madame Soti Japonicas Bauch. »Man darf Madam gratulieren, dass sie so rasch nach l'enfant wieder in Form kam.«
Japonica errötete zutiefst. »Ich ... ich ...«
Madame Soti legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ach, wie ungeschickt von mir. Das muss meine Fantasie sein. Aber ich bin alt und weise genug, meine Irrtümer zuzugeben!«
Die junge Frau starrte die Modistin an, auf der Suche nach Anzeichen von Doppelzüngigkeit. Sie sah nur Aufrichtigkeit. »Die Sache ist sehr heikel und kompliziert, Madame Soti.«
»In London ist das Leben insgesamt heikel und kompliziert zugleich. Eine Expertin der Mode hört vieles und schweigt darüber, damit sie sich treue Kundschaft erhält.«
Stumm biss Japonica sich auf die Lippen. Ihr blieb nichts übrig, als sich auf das Wort der Madame zu verlassen.
Während sie geschnürt wurde, verwünschte Japonica ihre Eitelkeit. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, ihr Körper könnte ihr Geheimnis verraten. Hätte sie nicht das Kleid anprobieren wollen, wäre es nicht gelüftet worden. Und nun kannte es jemand, der keine Veranlassung hatte, ihr Privatleben zu respektieren. Sie erwog, sich das Schweigen der Modistin mit Geld zu erkaufen, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder. Die Frau hätte es womöglich als Beleidigung aufgefasst, nachdem sie ihr Wort gegeben hatte. Und wenn sie kein Mensch war, der es auch hielt, würden selbst etliche Pfund ihren Charakter nicht ändern.
Nachdem man ihr das Kleid über den Kopf gezogen und zugeknöpft hatte, kümmerte es sie nicht mehr, wie sie darin aussah. »Sehr hübsch«, sagte sie trocken, ohne einen Blick in den hohen Standspiegel. »Aber nicht für mich.«
»Oh, Madam sollte ihren Stieftöchtern eine Lektion erteilen.«
»Natürlich.« Sie hatte den Grund ganz vergessen, weshalb sie sich vor allem zum Anprobieren hatte überreden lassen. Eilends stieg sie von dem Podest herunter.
»Warten Sie!«, befahl die Modistin und wies eine Helferin an, ein Paar Slipper aus Goldleder vor sie hinzustellen. Sie klatschte in die Hände und zwei andere Mädchen kamen mit Haarnadeln und einer Brennschwere herbeigeeilt. Ehe Japonica protestieren konnte, wurde ihr Haar gelöst, frisch gekämmt und mit einem Strassdiadem auf dem Hinterkopf zusammengehalten. Wieder eine andere zauberte ein Paar goldene lange Handschuhe herbei und streifte sie ihr über. Nie im Leben hatte sie einen Rougetiegel angerührt, schwieg aber, als Madame Soti ihr Wangen und Lippen schminkte. Die Frau mochte Dienerin ihrer vornehmen Kundschaft sein - in ihrem Salon jedoch war sie Feldherrin, Sklaventreiberin und Königin
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