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ARALORN - Der Verrat (German Edition)

ARALORN - Der Verrat (German Edition)

Titel: ARALORN - Der Verrat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Briggs
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einfach nicht mehr hineinpasste. Nach kurzem Zögern hatte sie sich dann für ein knappes Kurzärmeliges entschieden und die Narben ignoriert.
    Als sie die große Halle betrat, war der Raum voller Menschen, und im ersten Moment erkannte sie nicht einen von ihnen wieder. Zehn Jahre waren eine lange Zeit. Einige der Anwesenden waren Pachtbauern und Landadelige, die ihre Höfe und Güter als Lehen ihres Vaters unterhielten; doch von der Zahl auffallend groß gewachsener, blonder Menschen in der Halle ausgehend, nahm Aralorn an, dass die meisten Personen zu ihrer Familie gehörten und dem bunt gemischten Haufen von Kindern, an den sie sich erinnerte, entwachsen waren.
    Wolf zog einige seltsame Blicke auf sich, doch niemand stellte irgendwelche Fragen. Es schien, als würde man Söldnern ihre überspannten Einfälle zugestehen.
    Sie lächelte und nickte, während sie durch die Menge schritt, wusste aus Erfahrung, dass ihr die Namen irgendwann schon wieder einfallen würden. Normalerweise war sie geübter im Plaudern und im Umgang mit Leuten, aber das hier war nicht einfach nur Arbeit, und der schwarze Vorhang am anderen Ende des Raumes nahm ihre Aufmerksamkeit zu sehr gefangen.
    In dem Alkoven hinter dem Vorhang lag der Leichnam ihres Vaters aufgebahrt – in Erwartung des traditionellen Defilees der um ihn trauernden Menschen. Ein andächtiger Moment, in dem man dem Dahingeschiedenen die letzte Ehre erwies und ihm eine friedvolle Reise wünschte, in dem alte Streitigkeiten beigelegt wurden – oder Töchter ihren Vätern zum ersten Mal seit zehn Jahren Hallo sagen konnten.
    Von Zeit zu Zeit war Aralorn ihm seit ihrem Weggang begegnet, das letzte Mal bei der Krönung des neuen Königs von Reth. Aber ich war in meiner Eigenschaft als Beobachterin dort, er hätte mich in meinen Verkleidungen niemals erkannt.
    »Aralorn!«, rief in dem Moment irgendwo hinter ihr eine männliche Stimme.
    Sie nahm sich einen Augenblick, um ihre diffusen Gedanken zu sammeln, bevor sie sich umdrehte.
    Sie konnte den jungen Mann, der sich zügig durch die Menge schob, nicht auf Anhieb einordnen, obwohl seine Größe und sein goldenes Haar den Schluss nahelegten, dass es sich um einen ihrer Brüder handelte. Sie war sich einen Moment unsicher, doch dann erkannte sie an den nussfarbenen Augen, wer er war – der einzige andere Anwesende in seinem Alter hatte blaue Augen. Als sie in seinen Gesichtszügen forschte, fand sie in ihnen den zwölfjährigen Knaben, den sie einst gekannt hatte, wieder.
    »Correy«, sagte sie herzlich, als er sie erreicht hatte.
    Wortlos öffnete er seine Arme. Sie umschlang ihn und erwiderte seine Umarmung. Trotz ihrer quälend hohen Absätze reichte sie ihm gerade mal bis zur Schulter.
    »Du bist kleiner geworden«, stellte er fest, hielt sie ein Stück von sich und zwinkerte mit den dunkelbraunen Augen.
    Sie trat einen Schritt zurück, damit sie, um ihn anzusehen, den Kopf nicht so weit in den Nacken legen musste. »Ich bin noch keinen Tag hier und schon zweimal wegen meiner Größe beleidigt worden. Du solltest deinen älteren Verwandten mehr Respekt zollen, Jungchen.«
    »Correy …« Von irgendwo hinter Aralorns linker Schulter platzte eine weibliche Stimme in die Unterhaltung. »Mutter sucht dich. Sie meint, du hättest vergessen, etwas zu holen, das sie für irgendwas braucht – wofür, hab ich vergessen. Bist du eigentlich noch ganz bei Trost, hier mit einem Schwert aufzukreuzen? Mutter wird außer sich sein, wenn sie sieht, dass du zu Vaters Leichenschmaus eine Waffe angelegt hast.« Ein hochgewachsenes, ziemlich herausgeputztes Mädchen – es mochte kaum dreizehn Jahre sein – trippelte ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen an Aralorn vorbei und blieb neben Correy stehen.
    Correy verdrehte die Augen und sah für einen Augenblick weit mehr wie ein zwölfjähriger Junge aus als wie ein erwachsener Mann. Aralorn unverwandt anlächelnd, streckte er seinen brüderlichen Arm aus, packte das tadellos gekleidete Mädchen im Nacken und zog es zu sich heran. »Diese junge Dame hier erkennst du wahrscheinlich nicht wieder, Aralorn. Als du fortgingst, war sie erst vier. Lin ist hier auf Lammfeste sozusagen unsere oberste Instanz für Schicklichkeit und gutes Benehmen. Sie will einmal an den Hof und den König treffen. Ich glaube, sie denkt, dass er sich augenblicklich unsterblich in sie verliebt.«
    Das Mädchen, nur wenige Zentimeter kleiner als sein Bruder, wand sich aus seinem Griff und funkelte ihn zornig an.

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