ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
Menschen üppig geschmückt. Spätnachmittägliches Sonnenlicht flutete durch die tropfenförmigen kristallenen Dachfenster, die in die hohe Decke eingelassen waren. Helle Lichtsäulen fielen auf den auf Hochglanz polierten elfenbeinfarbenen Marmorboden, in dem sich die wie Juwelen funkelnden Kleider der Tanzenden spiegelten.
Aralorns Käfig befand sich auf einem erhöhten Podest an der einzigen Wand des Saals ohne Durchgang. Von diesem Hochsitz aus konnte sie den ganzen Raum überblicken und gleichzeitig von jedem Punkt aus begafft werden. Oder vielmehr das Trugbild, mit dem der ae’Magi den Käfig belegt hatte.
Anstelle der schlanken, weißblonden Frau, die der ae’Magi gekauft hatte, um seinen großen Saal mit ihrer außergewöhnlichen Anmut zu schmücken, würde der Betrachter einen Schneefalken sehen. Ebenso selten und schön wie seine Sklavin, hatte er ihr versichert, aber nicht so brisant. Einige Leute, so hatte er weiter gesagt, während er sich das Blut von der Hand leckte, hegten eine Abneigung gegen Sklaverei, und er hege eine Abneigung gegen Diskussionen.
Den Raum um seine Sklavin herum gestaltete er zu seinem eigenen Vergnügen höchstselbst. Sie als einen seltenen Raubvogel zu maskieren war für ihn nichts weiter als ein großer Spaß, den er sich mit den Menschen machte, die zu ihrer Zerstreuung hergekommen waren.
Eine Glocke ertönte und kündigte neue Ankömmlinge an. Aralorn schlang die Arme um sich, als der ae’Magi seine Gäste mit einem warmen Lächeln begrüßte. Es war das gleiche Lächeln wie in der vergangenen Nacht, als er einen kleinen Jungen getötet und ihm seine Magie gestohlen hatte.
Der Steinboden war rot gewesen von Blut, aber er hatte es rückstandsfrei absorbiert, und nur jemand, der imstande war, Magie zu erspüren, mochte das Bahrtuch bemerken, das der schändliche Mord hinterlassen hatte. Oder auch nicht. Schließlich war der ae’Magi der Herr aller Magier, und sie konnten ihre Kräfte nur in dem Maße anwenden, wie er es zuließ.
Sie machte sich schon wieder selbst verrückt – das war wirklich alles andere als hilfreich. Aralorn biss sich auf die Lippe und starrte in dem Versuch, sich abzulenken, auf den tanzenden Adel. Ordnete den Gesichtern der Tanzenden mit der Leichtigkeit, die sie zu der wertvollen Spionin machte, die sie war, Namen und Länder zu.
Der ae’Magi hatte auch einen alten Mann getötet, einen alten Mann ohne jeden Funken von Magie an sich – weder menschlicher noch grüner –, und hatte die Macht des Todes dazu benutzt, die Wände des großen Saals in ein strahlendes Weiß zu verwandeln. »Eine Sinnestäuschung«, hatte er ihr erklärt. »Es bedarf einiger Kräfte, und ich möchte ungern meine eigenen einsetzen, denn ich könnte sie jederzeit brauchen.«
Das war in der ersten Nacht gewesen. In der zweiten hatte er einen Mann hergebracht – einen seiner eigenen Wachleute. Mit dessen Blut hatte der ae’Magi eine so übelriechende Magie gewirkt, dass Aralorn der Gestank immer noch in der Nase lag.
Doch am schlimmsten war der Junge gewesen. Noch ein Kind, und …
Dutzende Herrscher aus den Reichen der Allianz von Anthran waren zugegen. Einige waren seit Jahrhunderten Mitglieder des Bundes, andere noch nicht seit ganz so vielen Jahren dabei. Die Kaiserin der Allianz war nicht erschienen. Sie war erst sechs, und ihre Vormünder hielten ein wachsames Auge auf sie für den Fall, dass irgendeiner ihrer Untergebenen beschloss, an ihrer statt lieber ihre Kusine zur neuen Kaiserin zu machen. Nur weil sie Verbündete waren, hieß das nicht, dass sie auch treue Untertanen waren. Das Gezänk innerhalb der Allianz trug erheblich dazu bei, dass Sianims Kasse stets voll war.
Nach und nach gelang es Aralorn, die Erinnerung an die toten Augen des Jungen durch Jahreszahlen und politische Ereignisse zu ersetzen, doch noch immer schritt sie in ihrem Käfig rastlos auf und ab. Es war weniger das Entsetzen angesichts der Erkenntnis, was für ein Mensch mit der Macht des ae’Magi ausgestattet worden war, das sie davon abhielt, sich hinzusetzen – es war nackte Furcht.
Der ae’Magi ängstigte sie zu Tode.
Der Tanz unter ihr hatte etwas Kaleidoskopartiges: Die leuchtenden Farben der kostbaren Stoffe drehten sich herum, nur um im nächsten Moment jäh innezuhalten, sich umzuordnen und dann von Neuem loszuwirbeln. Das Ganze wirkte eher wie ein Räderwerk als wie ein von echten Menschen bevölkerter Ball. Vielleicht war es ein Nebeneffekt der Magie. Oder
Weitere Kostenlose Bücher