ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
guten Idee ausgesehen. Sie hatte geplant, sich als Dienerin auszugeben – sie war gut als Dienerin, und im Allgemeinen pflegten die Leute vor dem Gesinde zu reden, als ob es überhaupt nicht anwesend wäre. Doch dann war da dieses Sklavenmädchen gewesen, frisch an eben jenen Geoffrey ae’Magi verkauft, dessen Hof Aralorn zu infiltrieren und zu beobachten gedachte …
Hätte die Sklavin nur nicht diese graugrünen Augen des alten Volkes gehabt, die gleichen Augen wie sie, vielleicht hätte Aralorn dann nicht ihrem spontanen Impuls nachgegeben. Aber es war ein Kinderspiel gewesen, das Mädchen zu befreien und es über verlässliche und vertrauenswürdige Verbindungen zurück nach Hause, nach Reth, zu schicken – was nur bewies, dass Aralorn, obschon sie all die Jahre in Sianim gelebt hatte, immer noch rethisch genug war, um Sklaverei zu verachten. Und sogar noch einfacher war es gewesen, mit Hilfe der Magie des Volkes ihrer Mutter ihre Körperformen und ihre Gesichtszüge zu verändern, um dem Mädchen zum Verwechseln ähnlich zu sehen und ihren Platz einzunehmen.
Was sie nicht bedacht hatte, war, dass Sklaven weggeschlossen werden konnten, bis man sie brauchte; sie hatte angenommen, irgendeine Arbeit verrichten zu müssen. Es war gemeinhin bekannt, dass des Erzmagiers Leidenschaft der Magie vorbehalten war, nur selten gab er sich noch fleischlichen Vergnügungen hin. Sie war davon ausgegangen, dass das Mädchen gekauft worden war, um irgendetwas zu tun – nicht, um wochenlang eingesperrt in einer Kammer zu hocken.
Aralorn hatte bereits kurz davor gestanden, sich aus dem Staub zu machen und es noch mal mit einer anderen Identität zu versuchen, als sie vor vier Tagen in den großen Saal der Burg des ae’Magi gebracht und in den riesigen silbernen Käfig gesteckt worden war.
»Sie ist als Dekoration für den Ball bestimmt«, antwortete der Diener, der sie in den Käfig schob, auf die Frage eines anderen Dieners. »Höchstens für eine Woche, aber er will sie hier haben, damit er den Festschmuck und sie zusammen sehen kann.«
Dekoration. Der ae’Magi hatte eine Sklavin gekauft, um mit ihr seinen großen Saal zu schmücken.
Das wollte irgendwie gar nicht zu der Stellung eines Erzmagiers passen, hatte Aralorn gedacht. Es bedurfte mehr als nur Macht, der ae’Magi zu werden. Wer immer – Mann oder Frau – diesen Mantel der Autorität trug, war in den Augen der Zunft eine Person von unanfechtbarer Tugend. Nur einer solchen konnte man die Zügel in die Hand geben, um die Geschicke der gesamten Magierschaft – zumindest der westlich des Großen Sumpfs – zu lenken, auf dass es nie wieder zu einem Krieg der Zauberkundigen kam. Einen Menschen zu Dekorationszwecken zu kaufen schien ihr … irgendwie zu klein für jemanden wie den ae’Magi. Hatte sie gedacht.
Vor vier Tagen.
Aralorn erschauderte. Ihre Schuhe machten auf dem Marmor unter ihren Füßen nicht das kleinste Geräusch; nicht, dass irgendjemand imstande gewesen wäre, es über die Musik hinweg zu hören.
Jenseits der silbernen Gitterstäbe ihres Käfigs erstrahlte der große Saal in all seinem Glanz. Es hieß, dass er an die tausend Jahre alt sei, seine Pracht allein durch gute Pflege und behutsame Erneuerung bewahrt anstatt durch Magie.
Obwohl dieser Raum das Herzstück des ae’Magi-Domizils war, wurde in ihm traditionsgemäß niemals Magie ausgeübt. Dies war der Ort, zu dem die Oberhäupter des Landes kamen, um ihre Geschäfte mit dem ae’Magi zu regeln, und die Abwesenheit jeglicher Magie gab ihnen samt und sonders die Gewissheit, dass keinerlei magischer Zwang am Werke war. Doch inzwischen wusste Aralorn, dass der derzeitige ae’Magi sich nicht sonderlich viel darum scherte, den alten Traditionen zu folgen. Und er setzte definitiv Zwangsmagie ein … bei jedem.
An jenem ersten Tag hatte sie es kaum fassen können, als der Stein unter ihren Füßen vor Magie schier vibrierte. Sie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen. Zehn Jahrhunderte alt, oder zumindest zehn Jahrhunderte von den besten verfügbaren Handwerkern erhalten und behutsam gepflegt. Und dieser ae’Magi durchtränkte den Stein mit Magie! Keinem Mensch fiele es ein, den Raum einmal genauer zu prüfen. Und falls doch, würde der Verdacht bloß auf einen anderen, einen früheren ae’Magi fallen, denn Geoffrey ae’Magi würde sich niemals über die Tradition hinwegsetzen.
An diesem Abend war der große Saal zum Ergötzen der leichtfüßig über die Tanzfläche schwebenden
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