ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
möglicherweise auch Absicht, zum eigenen Vergnügen des ae’Magi. Er mochte es, die Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, ohne dass diese etwas davon bemerkten.
Sie sah die Herzogin von Ti und den Gesandten der Allianz von Anthran gesittet miteinander tanzen. Vor zehn Jahren hatte der Gesandte den jüngsten Sohn der Herzogin dahinmeucheln lassen und damit eine blutige Fehde entfacht, welche die Reiche der Allianz mit Leichen übersät hatte wie eine Seuche.
Der Gesandte sagte etwas und tätschelte der Herzogin vertraulich die Schulter. Diese lachte daraufhin heiter, ganz so als hätte sie des Gesandten dritte Frau nicht erst kürzlich auf sehr hässliche Weise töten lassen. Vielleicht hielt sie ihr Getue ja für besonders listig, um den anderen in Sicherheit zu wiegen, doch der Gesandte war bekanntermaßen weder besonders diplomatisch noch schlau. Aralorn fragte sich, ob der Effekt des Zaubers, den der ae’Magi offensichtlich auf all seine Gäste gelegt hatte, im Grunde nur für die Herzogin gedacht war und ob die Wirkung länger anhalten würde als nur diesen einen Abend.
Wie mächtig war dieser Mann eigentlich?
Als die Musiker eine Pause machten, scharten sich die Menschen um den Erzmagier Geoffrey ae’Magi, von seinen funkelnden Augen und dem verschmitzten Grinsen angezogen wie Schmetterlinge vom blühenden Coralisbaum. Wenn ein Schmetterling sich auf der süß duftenden scharlachroten Blüte des Coralis niederließ, schlossen sich deren Blätter, und die Blüte verdaute ihre unglückliche Beute über einen Zeitraum von mehreren Wochen.
Es gab Zeiten, in denen war Aralorns Vorliebe für wissenswerte Kleinigkeiten nicht unbedingt ein Gewinn.
Wie der Coralis, so war auch Geoffrey ae’Magi außergewöhnlich schön, mit seinem blauschwarzen Haar, den hohen Wangenknochen und dem Lächeln eines Kindes, das mit der Hand in der Plätzchendose erwischt worden war.
Aralorn war ihm schon früher einmal begegnet. Sie war vom Meisterspion in der hohen Gesellschaft eingesetzt worden, welcher der ae’Magi angehörte, denn sie wusste, wie man sich unauffällig in ihr bewegte. Damals hatte sie das Gewoge von Magie, das ihn umgab, seiner Eigenschaft als mächtigstem Magier der Welt zugeschrieben. Seine Schönheit hatte sie zuerst fast gelähmt, aber sie hatte rasch erkannt, dass seine Wirkung auf andere vor allem auf seine vermeintlich sanfte Wärme und seinen selbstironischen Humor zurückzuführen war. Tatsächlich war Aralorn bis vor vier Tagen, so wie jede andere Frau, die den Magier jemals erblickt hatte, mehr als nur ein bisschen in ihn verliebt gewesen.
Aralorn wandte ihren Blick von dem ae’Magi ab und wieder dem Raum zu. Während sie den Erzmagier beobachtet hatte, war jemand bei der Säule, die ihrem Käfig am nächsten war, stehengeblieben.
Ein kleiner, breit gebauter junger Mann, in die Farben des Königshauses von Reth gekleidet, lehnte lässig an dem glänzenden Pfeiler und verfolgte ebenfalls das Treiben der Menge: Es war Myr, Prinz – nein – inzwischen König von Reth. Seine Gesichtszüge waren auffallend markant, beinahe hübsch. Er besaß ein energisch vorspringendes Kinn, das er von seinem Großvater väterlicherseits geerbt hatte, einem großen Krieger und König.
Es war weniger sein Erscheinen, das ihre Aufmerksamkeit erregte; sie hatte schon geahnt, dass er der Grund dafür war, dass Geoffrey ae’Magi seine Sklaven an diesem Tag versteckte. Vielmehr war es der angewiderte Ausdruck, der kurz über sein Gesicht huschte, als er das Menschengewimmel betrachtete, und der sich von dem leeren Lächeln all der anderen im Saal deutlich unterschied.
Unerwartet veränderte er seine Haltung, und ihre Blicke begegneten sich. Rasch schaute er zu Boden, doch dann setzte er sich durch das Gedränge hindurch in Bewegung und näherte sich ihrem Käfig. Am Podest angekommen, senkte er den Kopf, sodass niemand von seinen Lippen lesen konnte, und fragte mit gedämpfter Stimme: »Braucht Ihr Hilfe, werte Frau?«
Erschrocken fuhr sie herum und blickte in den Spiegel, der die Rückwand des Käfigs bedeckte. Das Trugbild des Schneefalken schaute gleichgültig zurück.
Aralorn war sich vollkommen sicher, dass Myr kein Magier war – das hätte er vor ihr nicht geheim halten können, nicht bei dem Blut ihrer Mutter, das ihre Adern durchströmte. Grüne Magie vermochte sich vor dem gezähmten Zinnober, den die eher menschlichen Magier benutzten, in aller Regel verbergen, doch umgekehrt war dies mitnichten
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