ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
außer Kontrolle geraten war?
In dem Moment regte sich Aralorn und zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er stand auf und ging, fast erleichtert darüber, aus seinen Gedanken gerissen worden zu sein, zu ihr.
8
Aralorn hatte es sich angewöhnt zu warten, bis sie wusste, wo sie war und für wen man sie hielt, bevor sie ihre Augen aufschlug – eine Vorsichtsmaßnahme, da sie im Laufe ihres Lebens fortwährend jemand anderes darstellte als sich selbst. Doch aus irgendeinem Grund fiel es ihr heute schwerer als sonst. Die warme Sonne auf ihrem Gesicht kam ihr ebenso fehl am Platze vor wie das Kreischen eines Hähers irgendwo hoch über ihrem Kopf.
Sie bewegte sich leicht und spürte sofort ein warnendes Stechen in ihrer Seite, das prompt an verschiedenen anderen Teilen ihres Körpers seinen Widerhall fand. Eine recht wirksame Gedächtnishilfe – wiewohl ziemlich unsanft.
Das Problem war, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wie sie vom Verlies des ae’Magi an diesen Ort gekommen war, wo auch dieser Ort sein mochte.
Da es ziemlich unwahrscheinlich war, dass sie durch Herumliegen und Sichschlafendstellen zu irgendwelchen weltbewegenden Erkenntnissen gelangen würde, öffnete sie die Augen und setzte sich auf – eine Maßnahme, die sie augenblicklich bereute. Die plötzliche Lageveränderung löste prompt einen Hustenanfall aus – kein wirklicher Spaß mit gebrochenen Rippen. Langsam sank sie wieder auf ihr Lager zurück und wartete, dass ihre Augen aufhörten zu tränen.
Flach atmend beschränkte sie sich darauf, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen, um ihre derzeitige Umgebung zu erforschen. Sie befand sich allein auf einer kleinen Lichtung, umgeben von dichtem Buschwerk, das rasch breitblättrigen Bäumen wich. Irgendwo in der Nähe konnte sie einen Bach plätschern hören. Die Sonne stand hoch am Himmel und rückte auf den Nachmittag zu. Nicht weit entfernt erhoben sich auf drei Seiten Berge. Sie waren kleiner als ihre Nordlandgegenstücke, aber immer noch beeindruckend. Und ihr unvertraut, zumindest aus ihrem gegenwärtigen Blickwinkel heraus.
Die Decken, in die Aralorn eingewickelt war, waren aus fein gesponnener, aufwendig gewebter Wolle. Sie stieß einen leisen Pfiff aus angesichts des teuren Stoffs. Allein eine dieser Decken würde einen Söldner zwei Monatslöhne kosten, und sie war gleich in zwei davon eingehüllt, und auf einer dritten ruhte ihr Kopf. Eigentlich hätte ihr so eingepackt viel zu warm sein sollen – doch es fühlte sich gut an.
Die Bandagen um ihre Hände und Handgelenke waren fachmännisch gewickelt, gerade fest genug, um Halt zu gewähren, doch andererseits auch nicht zu eng. Wer immer sie ihr angelegt hatte, verstand sich besser auf das Verbinden von Wunden als sie – was allerdings nicht viel heißen sollte. Sie verzichtete darauf, auch die anderen Verbände, die sie hier und dort bedeckten, zu inspizieren, und zog es stattdessen vor, ihre Blessuren lieber nicht genauer zu untersuchen. Sie würde schon früh genug erfahren, welche Körperteile am Ende fehlten oder zu nichts mehr zu gebrauchen waren.
In dem Moment fiel ihr ein, dass ihre Augen eigentlich in genau diese Kategorie fallen sollten. Die Methode, die der ae’Magi angewendet hatte, um sie zu blenden, war … gründlich gewesen. So gründlich, dass sie absolut sicher gewesen war, nicht einmal Gestaltwandlermagie könnte sie mehr heilen.
Sie erschauderte unter ihren Decken. Plötzlich war da der beunruhigende Gedanke, dass es einem mächtigen Magier vielleicht möglich wäre, die Illusion von dieser Wiese zu erschaffen. Sie war sich dessen nicht ganz sicher, aber den Geschichten nach, die sie gehört hatte … Zumindest war das um einiges wahrscheinlicher, als dass jemand sie aus dem Kerker herausgeholt haben sollte. Und es würde auch die wundersame Heilung ihrer Augen erklären …
Sie blickte sich forschend um, doch nach wie vor war sie die einzige Seele hier auf der Lichtung.
Nicht weit hinter ihrem Kopf machte sie einen schmalen Baum aus. Zentimeter um Zentimeter schob sie sich zurück, bis sie gegen ihn stieß; falls es der ae’Magi sein sollte, der hier irgendwann auftauchen würde, so wollte sie ihm ungern auf dem Rücken liegend begegnen. Die Anstrengung, die diese Aktion sie kostete, war entmutigend. Langsam und schrittweise, um nicht einen weiteren Hustenanfall auszulösen, richtete sie sich mit dem Rücken am Stamm so weit auf, bis sie es in eine sitzende Position geschaffte hatte. Dann wartete sie
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