ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
einen Moment. Als die Hustenattacke ausblieb, drückte sie sich an dem Baum weiter nach oben. Trotz der Bandagen schabte die Rinde hart über ihren Rücken – zumindest das fühlte sich ziemlich real an. Schließlich stand sie aufrecht da – oder vielmehr an den Baumstamm gestützt.
Sie hörte ihn erst, als er aus einiger Entfernung zu ihr sprach. Zwar fehlte seiner Stimme der üblicherweise mitschwingende höhnische Unterton, aber es war nichtsdestominder Wolfs Stimme. »Willkommen zurück, Aralorn.«
Vor lauter Erleichterung wäre sie um ein Haar wieder zu Boden gesunken. Wolf. Es war Wolf. Ja, er, das mochte sie gerne glauben, war durchaus imstande, sie zu retten und zu heilen, was immer der Heilung bedurfte. Sie befand sich in Sicherheit.
Sie schluckte und riss sich zusammen – es hätte ihm bestimmt nicht gefallen, wenn sie auf ihn zugestürzt und ihm schluchzend und sabbernd um den Hals gefallen wäre. So wenig, wie es ihr gefallen hätte, sich, wenn sie erst einmal wieder fest auf ihren Beinen stand, daran zu erinnern.
Als sie sicher war, dass sie sich halbwegs im Griff hatte, drehte sie den Kopf mit einem Lächeln herum, das ihr, als sie sein Gesicht sah, fast gefror. Lediglich Jahre der Übung hielten sie davon ab, vor Entsetzen laut aufzuschreien, konnten den unfreiwilligen Schritt zurück, den sie machte, jedoch nicht verhindern. Dummerweise verhedderte sich ihr Fuß in einer der Decken; sie verlor den Halt am Baumstamm und stürzte hin.
Ja, eindeutig gebrochene Rippen … Doch nicht einmal der aufflammende Schmerz konnte ihre Verzweiflung durchbrechen.
Der Erzmagier.
Sie rollte sich herum, um den Feind nicht aus dem Blickfeld zu verlieren, was ihr einen erneuten Hustenanfall bescherte. Mit vor Schmerz tränenden Augen sah sie, dass er ebenfalls einen Schritt zurückgewichen war, wenn auch zugegebenermaßen mit etwas mehr Eleganz. Er hob eine Hand an sein Gesicht, ließ sie jedoch gleich wieder sinken. Wartete, dass ihr Hustenanfall vorüberging und sie sprechen konnte. In seinem Gesicht spiegelte sich nicht der allergeringste Ausdruck.
Aralorn war fast dankbar, dass sie einen Moment lang nichts sagen konnte, weil ihr dies Gelegenheit zum Nachdenken gab. Es mochte vielleicht das Gesicht des ae’Magi sein, doch aus ihm heraus funkelten Wolfs gelbe Augen sie an – ihr Blick so unbeständig, wie das Gesicht regungslos war.
Es war Wolf. Ihr Wolf. Das verrieten ihr seine Ruhe und Gelassenheit, sein beinahe körperlicher Rückzug mehr noch als seine Augen. Sicher, Augen mochten sich durch Illusion verändern lassen, aber sie wagte zu bezweifeln, dass irgendjemand Wolfs Körpersprache so gut kannte wie sie.
Cain war der Sohn des ae’Magi, aber niemand hatte ihr jemals gesagt, wie sehr der Sohn dem Vater ähnelte. Hätte der Sohn des ae’Magi der Welt je sein magievernarbtes Gesicht gezeigt, das, welches sie so gut kannte, würde ganz gewiss jemand die Narben erwähnt haben. Vielleicht wollte der ae’Magi nicht, dass die Menschen sich daran erinnerten, wie ähnlich er seinem dämonisierten Sohn sah. Sie war überzeugt, wenn er nicht wünschte, dass die Leute darüber sprachen, so würden sie dies auch nicht tun. Ihr nächster Gedanke war, dass Wolf gar nicht aussah wie ein Mann, der nur einige Jahre älter war als Myr. Und während ihr Husten allmählich nachließ war ihr dritter Gedanke, dass sie sich besser überlegte, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte – denn sie wollte ihn nicht schon wieder verletzen.
Doch bevor sie irgendetwas sagen konnte, ergriff Wolf das Wort: »Wenn ich der Ansicht gewesen wäre, du hättest es allein in Sicherheit geschafft, hätte ich dich in Ruhe gelassen. Aber leider war dem nicht so. Ich verspreche dir, ich verschwinde, sobald du wieder zurück bist im …«
Mit einem unflätigen Ausdruck fuhr sie ihm in die Parade und versuchte dabei so viel Würde auszustrahlen, wie es einer Person, die unbeholfen inmitten eines Durcheinanders von Decken lag, möglich war. »Idiot!«, schimpfte sie. »Natürlich hab ich die ganze Zeit gewusst, wer du bist.« Sie war sich keineswegs so sicher, aber das musste sie ihm ja nicht sagen. »Wie viele Lehrlinge, glaubst du, hat der ae’Magi wohl gehabt? Ich kenne die Namen jedes Einzelnen von ihnen. Dank Ren. Er schien der Überzeugung zu sein, dass dieses Wissen eines Tages mal nützlich sein könnte. Wie viele Magier, meinst du, besitzen die Macht, das zu tun, was du mit Edom angestellt hast?« Zwei oder drei, dachte sie,
Weitere Kostenlose Bücher