Arbeit und Struktur - Der Blog
Bewegung tut dem Körper gut, trotzdem heute wieder den ganzen Tag in Gedanken. Dann ist es nur eine Armlänge bis zum Wahnsinn und noch zwei Fingerbreit zum Nichts. Ich muß nur die Hand ausstrecken. Es wundert mich, daß es den anderen nicht so geht.
31.7. 2010 23:44
Fahrradtour nach Rahnsdorf zu Lentz’ Sommerfest, wie jedes Jahr. Zwischendurch Baden im Müggelsee. Das Wasser so schwarz und unheimlich, fast traue ich mich nicht hinein. Erst als mich davon überzeugt habe, daß es nur Wasser ist, nur ein See. Nach den glücklichen Tagen zuletzt ein ziemlicher Rückschlag.
Auf dem Fest der Herbert-Grönemeyer-Doppelgänger entpuppt sich als Herbert Grönemeyer. Herta Müller und Kehlmann sitzen an einem Tisch. Wenn es ein Gegenteil von Aura gibt, schwebt es strahlend um Kehlmann herum. Ich bleibe den ganzen Tag abseits, schaffe keinen Smalltalk mit niemandem. Erst als X. sich zu mir hockt, bei der sie jüngst Morbus Bechterew diagnostiziert haben, kommt eine Unterhaltung zustande.
Sieben :
2.8. 2010 11:15
Dr. Vier ist keine große Hilfe bei der Beschaffung von Substanzen. Das könne er gar nicht verschreiben und ambulant gebe es das sowieso nicht, das bekäme ich auch nirgendwo anders. Was ich da von Waffen redete – wer immer mich fände, sei traumatisiert. Freunde wahrscheinlich. Und schwierig sei das überhaupt nicht, wie käme ich darauf? Er habe im Notdienst gearbeitet, reihenweise Erschossene gesehen, das habe keiner überlebt. Vor die U-Bahn, vom Hochhaus, oder am einfachsten mit Paracetamol, wirklich kein Problem. Er empfehle ein Hospiz. Freilich müsse man sich umsehen vorher, einen Platz reservieren. Aber schön sei es da, er hätte nur positive Rückmeldungen.
Meine Einwände, daß es um Psychohygiene ginge, werden ignoriert. Trotzdem bin ich froh, mit ihm gesprochen zu haben. Er ist ein guter Arzt, denke ich. Aber Paracetamol googelt man besser nicht.
Auf dem Rückweg stellt sich sofort das Bild der Waffe wieder ein, und gleich geht es mir besser. Das ganze Gespritze war eh ein Irrweg. Daß alles andere nicht hundertprozentig sicher ist, wie X schwört, muß egal sein. Ich will mir ja gar nichts antun. Das ist doch nicht der Punkt.
Aber tagelang durch verrauchte Neuköllner Hinterhofwohnungen laufen zu müssen und mit Leuten zu sprechen, die nicht sagen wollen, wie sie heißen, nur um Gewißheit zu haben – das ist eines zivilisierten mitteleuropäischen Staates nicht würdig.
2.8. 2010 23:01
Mittags alle Sachen in eine Tasche geworfen und nach Binz gefahren, Eltern besuchen. Eine Mutter mit drei Kindern im Abteil, trotzdem die ganze Zeit arbeiten können. Von Kathrin neulich gehört: Die Zugabteile in Europa sind dem Innern von Kutschen nachempfunden. Großraumabteil kommt aus Amerika, und die Fähigkeit, einander stundenlang in die Augen zu sehen, ohne miteinander zu reden, mußte anfangs mühsam gelernt werden.
Am Bahnhof holen mich wie jedes Jahr meine Eltern ab, ein bißchen surreal.
Und dann laufe ich als erstes ans Meer. Der Anblick der abendlichen Ostsee läßt mich kalt. Große Wassermassen, ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Es ist nicht mehr sehr warm, und in der Dämmerung spielen Leute Volleyball.
5.8. 2010 17:30
Der zweite Umbruch (Tschick) ist da. Ich brauche genau zehn Sekunden, um einen katastrophalen Fehler zu finden vom Typus A spricht – B spricht – B spricht. Katja verspricht am Telefon, die anderen korrigierten Stellen noch mal durchzusehen.
7.8. 2010 20:22
Frühmorgens in hohen Wellen gebadet. Kaum Sonne den ganzen Tag. Nachmittags noch mal an den Strand und bei starkem Wind Volleyball gespielt, drei gegen drei. Ich spiele nicht viel schlechter als die anderen jungen Männer. Dann wieder in die Wellen.
Was Dostojewskij sich da zusammenschreibt, ist streckenweise von beachtlicher Schlichtheit. Grausam die Marie-und-die-Kinder-Stelle. Die Motivation seiner hysterischen Szenen läßt zu wünschen übrig. Dann wieder wird seitenlang hierhin und dorthin gegangen und Überflüssiges geredet. Auch der epileptische Anfall ist nicht so makellos beschrieben, der innere Monolog, das Bild des Messers im Schaufenster, die Groschenromanmethoden, mit denen Stimmung erzeugt wird – und doch, wie sehr hat sich das alles in meiner Erinnerung festgehakt. Die Nische, in der Rogoshin steht – ich kann es nicht analysieren und werde es wohl auch nicht mehr herausfinden, warum das Bild einen so starken Eindruck hinterläßt. Vielleicht liegt’s auch
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