Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
kostensparend verdünnte Brühe auf seinen Acker kommt. Die sprichwörtliche Schlitzohrigkeit des Landgewerbes blitzt an solchen Stellen immer wieder durch. Man hilft sich zwar gegenseitig und kooperiert zum wechselseitigen Vorteil. Man unterstellt allen anderen jedoch nicht selten, daß sie jede Gelegenheit, einen schnellen Euro zu machen, auch nutzen werden, und beugt entsprechend vor.
Der richtige Zeitpunkt – diesen Begriff hört man andauernd, wenn man mit Bauern redet. Es geht eigentlich immer darum, in Abhängigkeit von Wetter, Jahreszeit, Fruchtfolge und dem Reifegrad des Getreides den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Das fängt beim Pflügen und der Aussaat an und endet mit der Ernte. Alle Bauern sind deshalb Wetterbericht-Junkies und haben spezielle Services abonniert, die ihnen helfen, Fehler zu vermeiden, und Warnungen vor drohenden Unwettern oder erntebeeinträchtigenden Wetterlagen zuschicken. Mit den Besonderheiten und Eigenarten des Mikroklimas über ihrem Land vertraut zu sein und die Wetterentwicklung richtig einzuschätzen ist seit alters eine bäuerliche Kernkompetenz.
Die gestiegene Qualität und Genauigkeit der meteorologischen Wettervorhersagen ist jedoch von nicht zu unterschätzender Bedeutung für hohe Erträge. Während noch vor zwanzig Jahren die Wetterprognosen für mehr als zwei Tage eher grobe Schätzwerte waren, sind durch die dramatisch gestiegene Anzahl der Meßstationen, mehr Rechenleistung, verbesserte Algorithmen und den unmittelbaren Zugriff auf die Daten über das Internet die Prognosegüte und -zeiträume und damit Planbarkeit unter Wetternormalbedingungen deutlich gestiegen. Die Maschinen ersetzen hier den Menschen aber nicht vollständig – es braucht immer noch einige qualifizierte Meteorologen zur Interpretation und Einordnung der Computervorhersagen.
Rechenleistung, Vernetzung und Algorithmen geben den Bauern heute einen Informationsvorteil, der sich direkt in besseren Ernteergebnissen auswirkt – oder zumindest gleichbleibend guten. Denn ein anderer Aspekt der Wettervorhersagen sind die Warnungen vor den häufiger und stärker gewordenen Extremwetterereignissen. Sturm, Hagel, Stark- und Dauerregen, Frost und Dürre sind neben Pflanzenschädlingen die größten Feinde des Bauern. Rechtzeitig davor gewarnt zu werden gibt ihm Handlungsoptionen, um Totalverluste zu vermeiden.
Die Optionen und Abwägungen sind nicht trivial. Kündigt sich nur eine kurze Regenfront mit nachfolgendem Sonnenschein an, lohnt es wahrscheinlich, sie einfach abzuwarten. Schlimmstenfalls muß das Getreide nach der Ernte etwas getrocknet werden, was zwar den Gewinn schmälert, aber keine echte Katastrophe ist. Droht jedoch eine langanhaltende Regenwetterlage kurz vor dem eigentlich anvisierten Erntezeitpunkt, lohnt es eventuell, das nicht ganz ausgereifte Getreide zu ernten, damit es noch verkäuflich ist – möglicherweise in einer geringeren Weizenqualität als eigentlich geplant oder schlimmstenfalls noch als Futtergetreide, jedoch unter Vermeidung eines Totalverlustes. Der entsteht, wenn das Getreide ganz durchfeuchtet ist, umknickt und anfängt zu schimmeln. Dann kann es eigentlich nur noch untergepflügt werden.
Sicherzustellen, daß die nötigen Maschinen bereitstehen, wenn das Getreide reif ist, um es einzubringen, ist der Beruf der Hersteller von Landmaschinen. Mähdrescher, die wohl kompliziertesten und anspruchsvollsten Maschinen auf dem Feld, werden von wenigen hochspezialisierten Firmen produziert. Ein Besuch am Ort, wo die Mähdrescher hergestellt werden, zeigt, wie hochtechnisiert nicht nur die Maschinen selbst sind, sondern auch ihre Produktion.
Frank Rieger
3. Wo Mähdrescher geboren werden
Im Westfälischen ist die Landschaft so ereignisarm und gleichförmig, daß man den Verdacht entwickeln könnte, der deutsche Ingenieursgeist habe sich dort vor allem deswegen so intensiv entwickelt, weil man wirklich gute Produkte in alle Welt verkaufen kann – und so der Eintönigkeit entkommt. Nicht nur Mieles Waschmaschinen und Bertelsmanns Bücher kommen aus dieser Gegend, auch ultramoderne Landmaschinen werden hier gebaut.
Die Produktionshalle der Firma Claas sieht schon auf dem Luftbild beeindruckend groß aus. Steht man am Eingang, werden die tatsächlichen Dimensionen erst auf den zweiten Blick klar. Sechshundert Meter in der Länge und ungefähr zweihundert Meter in der Breite dehnt sich die mehrere Etagen umfassende Produktionsstätte aus, in der Mähdrescher gefertigt
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