Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
können, läßt sich am Beispiel der »Cotton Gin« illustrieren, einer Maschine, die 1793 erfunden wurde und in den Jahren danach weite Verbreitung fand. Diese aus heutiger Perspektive eher einfache Maschine zum Auskämmen der Samen aus geernteter Baumwolle prägte ganz wesentlich das riesige Ausmaß der Sklavenhalterei in den US-amerikanischen Südstaaten. Vor ihrer Einführung und Verbreitung war die Aufbereitung der Baumwolle eine aufwendige, mühsame Handarbeit. Ein Sklave brachte einen langen Zehnstundentag damit zu, ein mageres Pfund Baumwolle auszukämmen.
Die Maschine mit ihren feinen Drahthäkchen erhöhte die Produktivität um das bis zu Fünfundzwanzigfache. Vor der »Cotton Gin« war die Zahl der Sklaven eigentlich sinkend gewesen, aus rein wirtschaftlichen Gründen. Die Produktivität eines Sklaven war unter Einbeziehung seiner Unterhaltskosten in normaler Landwirtschaft – etwa im Tabakanbau – und im Vergleich zu einem bezahlten und motivierten Landarbeiter einfach zu gering. Doch durch die Einführung der Kämmaschinen und den Einsatz der Sklaven dafür wurde der zuvor wenig rentable und anstrengende Anbau von Baumwolle plötzlich enorm lukrativ.
Textilien konnten nun billig und in großen Stückzahlen produziert werden, insbesondere in der britischen Textilindustrie, die mit ihren mechanischen Webstühlen profitierte. Kleidung wurde billig und für viel mehr Menschen erschwinglich. Die Sitte, Dienstpersonal mit Uniformen auszustatten, kommt aus dieser Zeit. Die Armen mußten nicht länger jedes Kleidungsstück bis zum Auseinanderfallen flicken und aufbessern, sie waren nicht mehr ohne weiteres am Zustand ihrer Röcke zu erkennen.
Voraussetzung war die Zerlegung der Arbeit des Herstellens von Textilien in mechanisierbare Teilschritte und die Möglichkeit des effizienten Transports der Baumwolle. Die »Cotton Gin« konnte den Teilschritt des Auskämmens mechanisieren, andere Arbeitsgänge konnten durch die Webstühle und Spinnmaschinen wie die »Water Frame« mit Wassermühlenantrieb oder die 1770 patentierte »Spinning Jenny«, die mehrere Spindeln zur gleichen Zeit antreiben konnte, schneller und effizienter erledigt werden.
Gleich ist den maschinellen Prozessen, daß sie zuvor ohne mechanische Hilfen ausgeführte menschliche Arbeit weit schneller und oft mit höherer Qualität abwickeln. Entgegen dem, was man sonst aus der Geschichte der Rationalisierung und Mechanisierung erwarten würde, sorgte die explodierende Nachfrage nach Baumwollstoffen aber dafür, daß die Farmer in den amerikanischen Südstaaten nicht etwa weniger Sklaven hielten. Im Gegenteil: Die Zahl der Sklaven vervielfachte sich binnen kurzer Zeit. Riesige neue Anbauflächen wurden erschlossen, die Baumwollproduktion expandierte in ungeahnte Dimensionen.
Die Tätigkeiten im Baumwollanbau waren arbeitsintensiv, monoton und erforderten kaum geistige Anteilnahme, waren also nach damaliger Ansicht wie geschaffen für den Einsatz von Sklaven. US-Bundesstaaten, in denen es zuvor keine nennenswerte Sklaverei gab, führten sie neu ein, die Verschleppung neuer Sklaven aus Afrika stieg Jahr um Jahr. Einige Geschichtsschreiber gehen deshalb so weit, die Erfindung und Durchsetzung der »Cotton Gin« als eine wesentliche Ursache des amerikanischen Bürgerkriegs und seiner Folgen zu beschreiben. Vergleichbare Effekte – wenn auch meist weniger dramatisch – gab es immer wieder: Eine neue Technologie schuf Märkte und Nachfrage, die es so vorher nicht gab, mit entsprechendem Bedarf an Arbeitskräften. Das Beispiel der »Cotton Gin«, aber auch die Weber- und Landarbeiteraufstände illustrieren jedoch einen kritischen Punkt: Die herrschenden Machtverhältnisse und Konventionen in einer Gesellschaft bestimmen, was aus solchen technologiegetriebenen Marktexplosionen folgt.
Neben dem extensiven Einsatz von Maschinen aller Art nimmt seit dreißig Jahren auch die Roboterisierung in zunehmendem Maße in der industriellen Produktion ihren Lauf und beschleunigt seither Produktionsprozesse. Doch die bisherigen Roboter konnten sich in der Regel nicht autonom bewegen, können nicht sehen, nichts ertasten, können nicht riechen, nicht hören, sich nicht selbständig orientieren. Manche können zwar sprechen, aber bisher kaum im Sinne einer sinnvollen Kommunikation mit einem Menschen interagieren. Doch die dramatisch gestiegenen Rechenleistungen, neue Sensorik, ausgefeilte Algorithmen und Programmiertechniken, schnelle Bildverarbeitung, reibungslose
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