Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
vorgesehenen Normen ab, wird je nach Schwere der Abweichung ein Hinweis eingeblendet, der betreffende Teil des Bildschirms blinkt, oder es wird ein Alarm ausgelöst, der per optisches Signal, Warnhupe und Nachricht auf das Telefon des Müllers signalisiert wird. Ansonsten verrichten die Maschinen ihre Arbeit ohne eine direkte Beaufsichtigung. Über den Bildschirmen der Steueranlage sind jedoch eine Reihe von Monitoren für die Dutzende Kameras angebracht, die in der gesamten Mühle installiert sind. Wenn ein Alarm ausgelöst wird – etwa weil ein Rohr als verstopft erkannt wird –, kann der Müller, noch bevor er zum Ort des Geschehens eilt, mit Hilfe der Kameras und der Bildschirme in der Steuerzentrale schauen, wie die Lage ist.
Es ist tatsächlich oft nur noch ein einziger Müller verblieben, der den eigentlichen Mahlvorgang von der Zentrale aus steuert und überwacht. Je nach gewünschtem Endprodukt lädt er eine Konfiguration in die Steueranlage – die Partitur für das Orchester der vielen kleinen Programme für das Zusammenspiel der Klappen und Motoren. Diese Konfiguration bestimmt, aus welchen Silos wieviel Getreide zu welchen Mahlwerken und Sieben gelangt, wie oft es wie fein gemahlen und gesiebt wird, wie die verschiedenen Getreidequalitäten und -sorten mit welchen Zusatzstoffen zum fertigen Mehl gemischt werden.
Moderne Wunder
Aus den Silos fließt das Korn zuerst in eine Grobsiebanlage. Hier werden in mehreren Arbeitsschritten Fremdkörper aus dem Getreide entfernt. Steine bleiben auf einem gröberen Sieb zurück, Spelzen und Strohreste werden durch von unten durch das Sieb geblasene Luft entfernt. Zerbrochene Körner und Unkrautsamen fallen durch ein weiteres Sieb, dessen Maschen genau so bemessen sind, daß die gewünschte Korngröße darauf liegen bleibt: Alles, was kleiner ist, fällt durch, alles, was größer ist, bleibt auf dem darüberliegenden Sieb liegen.
Der nächste Reinigungsschritt ist ein neuerliches Wunder moderner Technik, das auch bei technikaffinen Betrachtern ungläubiges Staunen erzeugt. Das Getreide fällt durch einen optischen Sortierer, eine Maschine, in der Hochgeschwindigkeitskameras jedes einzelne Korn von zwei Seiten betrachten und analysieren. Dazu wird der Strom des herabfallenden Getreides so aufgefächert, daß alle Körner als ein dünner Vorhang nebeneinander, aber nicht übereinander an Reihen von Hochgeschwindigkeitskameras vorbeirauschen.
Weicht eines der Körner von der Norm ab, etwa wenn es eine dunkle Stelle aufweist, von Mutterkorn befallen, gebrochen ist, zu einer falschen Getreidesorte gehört oder sonstwie auffällig erscheint, wird es direkt hinter der Kamera durch einen kurzen Druckluftstoß aus dem rasch fallenden Getreidevorhang hinausgeblasen. Jedes einzelne Korn, das durch die Mühle geht, wird also von den Kameras des optischen Sortierers erfaßt und analysiert. Eintausend Tonnen Getreide am Tag fließen so Korn für Korn an den Kameras vorbei. Die Technik des optischen Sortierers ist eine Kombination modernster automatischer Bilderkennung, extrem schneller Steuertechnik und ausgefeilter Mechanik – und eine wunderbare Idee eines genialen Ingenieurs.
Nach der Sortierung wird das gesiebte und von den Hochgeschwindigkeitskameras einzeln begutachtete Mahlgetreide mit Wasser benetzt. Dieser auf den ersten Blick unlogische Schritt – das Getreide wurde doch gerade erst getrocknet – ist nötig, um in den nächsten Verarbeitungsstufen das Korn selbst zu reinigen. Dieses sogenannte Scheuern soll die Hülle des Korns im ersten Mahlgang sauber vom eigentlichen Kern trennen. Damit die Partie Getreide exakt den richtigen Grad Feuchtigkeit erreicht, wird sie nach dem Befeuchten einige Stunden stehengelassen. Durch das Anfeuchten wird die Schale des Korns elastischer und der Mehlkörper mürber. So feucht, wie das Korn jetzt ist, würde es im Lagersilo schnell verderben. Nach dem Abstehen wird es deshalb direkt zum ersten Mahlgang – dem Scheuern – geleitet.
Seit wir gelernt haben, die Körner von Gräsern zu ernten, stehen wir vor dem Problem, das nahrhafte Innere des Getreides von seiner kratzigen Hülle zu trennen und so zu zerkleinern, daß man mit Wasser und Salz Fladen und Brot daraus formen und backen kann. Die ersten archäologischen Spuren von Mahlsteinen sind mindestens 23.000 Jahre alt. Es gibt sogar noch ältere Hinweise darauf, daß unsere Vorfahren schon vor 45.000 Jahren Körner zu Mehl zerkleinerten. Die Bedeutung des Mahlens für die
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