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Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Titel: Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz , Frank Rieger
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Mühle schlicht nur einen geringen Bedarf an der jeweiligen Getreidesorte hat.
    Entsprechend lebhaft und gelegentlich auch emotional geht es in der Warenannahme zu, wo vier oder fünf Mitarbeiter anhand der Laborergebnisse und des prognostizierten Bedarfs für die verschiedenen Getreidesorten über den Ankauf entscheiden und Preisangebote abgeben. Ganz im Gegensatz zu Technikeinsatz und Analysemethoden bei Mühlen hat sich an dieser Stelle in den letzten Jahrhunderten wenig geändert: Der Bauer fühlt sich oft genug übervorteilt oder regt sich darüber auf, daß er zu optimistisch bei der Einschätzung seiner Getreidequalität war und einen zu niedrigen Preis angeboten bekommt. Gefeilscht wird angesichts der exakten Laborergebnisse heute nur noch um relativ kleine Differenzen. Das jahrhundertealte Mißtrauen der Bauern gegen die Müller hat jedoch eine lange Tradition und ist wohl auch nicht ohne Grund entstanden.
    Eine Mühle war schon immer eine teure Investition, die früher in der Regel nur vom lokalen Fürsten aufgebracht werden konnte. Die Mühlsteine wurden in oft wochenlangen Touren durch Ochsenkarren von weit her herangeschafft, da man Steine benötigte, die hart sind und dabei gleichzeitig eine Oberfläche mit guten Mahleigenschaften aufweisen. Mühlsteinbrüche waren weithin bekannt, etwa in der Eifel. Die hölzernen Zahnräder und Achsen zum Umlenken der Kraft des meist hochkant stehenden Wasser- oder Windrades auf die liegenden Mühlsteine waren teure und reparaturanfällige Einzelanfertigungen, die aus sehr hartem, regelmäßig gewachsenem Holz gebaut wurden.
    Errichtet und repariert wurden die Mühlen von wandernden Ingenieuren, die man »Mühlenärzte« nannte, da sie die kostbaren Mechaniken wieder heilen konnten, wenn etwas kaputtging. Ihre Dienste waren auch deshalb so teuer, weil sie das De-facto-Monopol auf das für damalige Verhältnisse komplexe Mechanikwissen und die nötige Erfahrung hatten. Über Jahrhunderte waren es dann auch regelmäßig diese Mühlenärzte, von denen Mechanikinnovationen ausgingen, welche die Kraft von Wasser und Wind in anderen Bereichen nutzbar machten. Sie waren die Keimzelle der modernen Ingenieurswissenschaften.
    Häufig war der Müller nur Pächter der Mühle, die eigentlich dem Fürsten gehörte. Sein Traum war es, genügend Geld zusammenzusparen, um eine eigene Mühle zu kaufen oder zu bauen. Bezahlt wurde der Müller – und von ihm wiederum der Eigentümer der Mühle – in der Regel durch einen Anteil am vermahlenen Getreide, was zu einer Vielzahl von Vorwürfen über Betrügereien, aber auch zu allgemeiner Unzufriedenheit mit den Abhängigkeitsverhältnissen führte, die sich auch noch in heutigen Wortkonnotationen, Sprichwörtern und Redensarten niederschlagen: das »Scheffeln«, »etwas auf dem Kerbholz haben« oder »Klappern gehört zum Handwerk«.
    Gemessen wurden Korn und Mehl meist mit dem Scheffel, einem regional standardisierten Volumenmaß in Form einer Handschaufel mit hohem Rand. Da man den Feuchtegehalt des Korns nicht zuverlässig bestimmen konnte, war das Gewicht nur eine unzureichende Maßzahl. Unterschiedlich große Scheffel für Korn und Mehl – der für Mehl natürlich kleiner, um den Bauern zu betrügen – waren einer der häufigsten Vorwürfe gegen die Müller. Verschärft wurden diese Konflikte dadurch, daß die örtlichen Fürsten in der Regel ein Mühlenmonopol verordnet hatten, um ihre Investition in die teure Mühle zu sichern. Eine Mühle zu errichten war also nicht nur schwer zu finanzieren, es war auch schlicht ohne Placet des lokalen Herrschers verboten. Die Bauern hatten beim Verkauf ihres Getreides daher bestenfalls die Wahl zwischen zwei oder drei Mühlen im Umkreis, die alle demselben Fürsten gehörten.
    Auch die Müller hatten es unter diesen Bedingungen nicht leicht. Ihnen blieb nach Abzug des Pachtanteils des Mühlenbesitzers kein Luxusleben – üblich waren achtzig Prozent vom einbehaltenen Zehnten des Getreides. Viele waren jedoch erfinderisch. Sie nutzten die Umstände, daß die Bauern ohnehin regelmäßig zum Mahlen und alle anderen zum Mehlkaufen kamen und daß ihre Mühlen meist außerhalb der Städte und Dörfer mit ihren strengen Regeln für Ausschankzeiten lagen: Sie betrieben Schankwirtschaften am Mühlhaus. Und da dazumal Kneipen und andere Formen der Erwachsenenunterhaltung nicht allzu scharf getrennt waren, dürften mit der »schönen Müllerin« aus den Volksliedern wohl oft die Gunstgewerblerinnen der

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