Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
können.
Als einzige der Mutterkorn-Inhaltsstoffe sind sie wasserlöslich und so von den schädlicheren sonstigen Alkaloiden gut zu trennen. Das Mutterkorn wurde daher vermutlich bereits in früheren Zeiten geschrotet, in Wasser aufgeweicht und abgeseiht. Das so behandelte Wasser wurde dann als Rauschmittel verwendet. Auch gegen starke Kopfschmerzen, die man heute »Migräne« nennen würde, wurden kleine Dosen der Mutterkornalkaloide schon lange verabreicht. Heutzutage verwendet man jedoch nebenwirkungsärmere Substanzen, »Triptane« genannt, die bei der Forschung an Mutterkornalkaloiden entdeckt wurden. Sie sprechen die gleichen Rezeptoren im Hirn an, die zu einer gezielten Verengung der schmerzhaft geweiteten Blutgefäße bei Migräne führen.
Bauern und Müller wissen seit Generationen, daß Mutterkorn besonders gut auf Roggen gedeiht. Nachdem ab dem neunten Jahrhundert Roggen verstärkt in Europa angebaut wurde, traten in der Folge größere Probleme mit Mutterkornvergiftungen in der Bevölkerung auf. Fälle mit Hunderten oder Tausenden Betroffenen sorgten jahrhundertelang immer wieder für Angst und Schrecken. Abhilfe tat not: Der Mönchsorden der Antoniter – gegründet 1095 – machte es sich zur Aufgabe, die bald als »Antoniusfeuer« bezeichneten Mutterkornvergiftungen zu behandeln. Der Orden unterhielt Hunderte Spitäler in ganz Europa, ohne jedoch die Ursache der Erkrankung zu kennen. 1597 wurde schließlich an der Philipps-Universität in Marburg der Zusammenhang zwischen dem Antoniusfeuer und dem Mutterkornkonsum entdeckt. Endlich waren gezielte Gegenmaßnahmen möglich: ein früher Sieg der Wissenschaft über eine Plage, die Leid über Hunderttausende gebracht hatte.
Da die vom Mutterkorn befallenen Körner normalerweise deutlich größer sind als nicht betroffene und sich zudem stark befallene Ähren durch ihre dunkle Farbe gut erkennen lassen, begannen die Müller schnell damit, die entsprechenden Getreideanteile, so gut es ging, auszusortieren. Die Bauern lernten ihrerseits, durch Maßnahmen wie das Abmähen von Grasrändern vor der Blüte und gezielte Sortenauswahl den Mutterkornbefall zu reduzieren. Nicht nur Menschen litten unter dem Pilzbefall der Ähren, auch in der Tierfütterung ist Mutterkorn ein Problem – die Vergiftungen treten ebenso bei Nutztieren auf. Die Tierzüchter verstanden, nachdem die Ursache des Problems einmal erkannt war, warum Mutterkorn auch aus dem Futter ausgesondert werden muß.
Verschiedene mechanische Sortiermaschinen zur Getreidereinigung wurden entwickelt und über die nächsten Jahrhunderte hinweg immer weiter verbessert, so daß größere Zahlen von Mutterkornvergiftungen bei Mensch und Tier fürderhin nur noch zu Kriegs- und Krisenzeiten auftraten, in denen Hungrige Getreide von den Feldern stahlen oder auflasen und aus Unwissenheit oder schierer Not auch mutterkornbefallene Körner verzehrten und verfütterten.
Diese Gefahr droht heutigen Getreidekonsumenten in Europa natürlich nicht mehr, auch nicht in Krisenzeiten, da die Lebensmittelindustrie hohe Standards erfüllt. Man sollte allerdings noch heute beim Einkauf von Getreide, insbesondere Roggen, direkt beim Bauern darauf achten, daß es schon gereinigt wurde.
Qualität und Preis
Während die Laboruntersuchungen in der Mühle laufen, in denen auch die Backqualitätsklassen des Getreides bewertet werden, müssen Lkws, Eisenbahnwagen oder Schiffe auf die Ergebnisse warten. Denn die Laborwerte entscheiden darüber, ob die Mühle die Lieferung überhaupt ankauft. Entsprechend hoch ist der Zeitdruck im Labor. Zur Erntesaison arbeiten hier ein Dutzend Müller, Chemiker und Biologen in mehreren Schichten an den Analysegeräten und Testsystemen.
Wenn das Korn des Lieferanten eine zu schlechte Qualität hat, zu stark verunreinigt oder zu naß ist, eignet es sich nicht für die Mehlgewinnung und wandert meist direkt in die Futtermittelherstellung. Häufig finden sich daher in unmittelbarer Nähe von Getreidemühlen Futtermittelbetriebe, die den Bauern an der Mühle abgewiesene Getreidepartien für weniger Geld abkaufen.
Wenn das Getreide zwar feucht, aber nicht zu naß ist, wird der Ankaufpreis niedriger ausfallen, da das Korn in der Mühle vor der Verarbeitung oder Einlagerung noch getrocknet werden muß. Weniger gezahlt wird auch, wenn der Weizen zwar für den menschlichen Verzehr geeignet ist, jedoch nach Einschätzung der Mühlenlaboranten in eine geringere Qualitätsklasse als angegeben fällt oder die
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