Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
Ernährung schlägt sich auch in der Bibel nieder, in einem expliziten Verbot des Verpfändens von Mahlgeräten: »Du sollst nicht zum Pfande nehmen den unteren und den oberen Mühlstein; denn damit hättest du das Leben zum Pfand genommen« (5. Mose 24, 6).
Die Kraft zum Mahlen
Das Korn zu mahlen ist energieaufwendig: Die Körner sind hart, um sie zu zerkleinern, bedarf es großer Kraft. Seit die Menschheit anfing, Getreide anzubauen, versuchte sie sich daher an Mitteln und Wegen, diese Arbeit schneller, effektiver und weniger anstrengend zu machen. Die älteste bekannte Methode, die Zerkleinerung zwischen einer Steinplatte mit Mulde und einem Reibstein, der per Hand hin und her gerieben wird, würde wohl heutzutage als Kraftsport bezeichnet werden.
Das Prinzip des Zermalmens von Korn zwischen zwei Steinen blieb jedoch über die Jahrtausende bis zur Erfindung des modernen Walzstuhls mit Porzellan- und später Stahlwalzen unverändert. Runde Mühlsteine wurden per Handkurbel gedreht, man ließ Pferde und andere Nutztiere im Kreis laufen, die Kraft des strömenden, fallenden Wassers wurde mit teils großem Aufwand nutzbar gemacht. Auch das Sieben des Korns geschah per Hand. Später wurden mechanische Siebe an die Energiequellen der Mühle – Wasser oder Wind – angeschlossen.
Im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert war etwa eine halbe Million Wassermühlen in Europa in Betrieb. Mit zunehmender Industrialisierung dienten die Mühlen nicht allein dem Mahlen des Korns, die Wasserkraft wurde vielfach genutzt: für Hammerwerke und Spinnereien, Papierfabriken, Drahtziehereien und Bohrwerke. Die meisten dieser Wasserräder hatten eine Leistung zwischen fünf und sieben PS. Die über die Jahrhunderte steigende, gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts geradezu explodierende Zahl von Mühlen führte zu einem vielerorts fein austarierten Regelwerk über die Nutzung der Wasserenergie. Stauhöhen, Raddurchmesser, Ablaufzeiten und anderes wurden genau bemessen, was zu zahlreichen gutdokumentierten Streitigkeiten führte. An einigen Flüssen in damaligen industriellen Ballungszentren stand alle paar hundert Meter eine Wassermühle.
Die Mahlwerke einer modernen Mühle werden von starken Elektromotoren angetrieben und bestehen aus gehärteten Stahlwalzen mit verschiedenen eingefrästen Riefen, die sich um die glänzenden Metallzylinder schlingen. Das Korn fällt zwischen zwei Mahlwalzen, die sich in einem präzise gesteuerten Abstand gegenläufig zueinander drehen. Das Korn wird dadurch nicht wie beim historischen Reibestein oder frühen mechanischen Mühlen zerdrückt, sondern zerrissen. Wenn alles korrekt eingestellt ist und die Körner die richtige Feuchtigkeit haben, ist die Schale so elastisch, daß sie sauber vom eigentlichen Mehlkörper abreißt und dabei nicht zerbröselt. Dies erleichtert das Aussieben der Schalen im nächsten Arbeitsgang.
Siebe in einer modernen Mühle haben wenig mit einem normalen Haushaltssieb gemein. Sie sind in sogenannten Plansichtern zusammengefaßt. Das sind mehrere Meter große, schwingend aufgehängte Kästen, in denen übereinander verschiedene Schubladen mit Sieben angeordnet sind. Dabei ist jedes Sieb von einer Art Rahmen umfaßt, der an einer Seite eine Öffnung hat. Sie führt zu einem der vielen Rohre, mit denen der Siebkasten an das Rohrsystem der Mühle angeschlossen ist. Das Korn oder Mehl fällt von oben nacheinander durch die verschiedenen Siebe. Das Gewebe der Maschen der feinsten dieser Siebe besteht aus Seide. Was auf dem jeweiligen Sieb liegenbleibt, also zu grob für die Maschenweite war, fällt an der offenen Seite des Siebs in das passende Rohr und wird über dieses zum nächsten Verarbeitungsschritt gepumpt – ein weiterer Mahlvorgang, ein anderer Plansichter oder auch ein Lagersilo.
Wie beim Mehlsieben für den Kuchen in der Küche zu Hause müssen auch die Siebe in der Mühle gerüttelt werden, damit die feinen Bestandteile hindurchfallen, während die groben Anteile auf dem Sieb liegenbleiben. Dazu ist in jedem der Siebkästen ein leistungsstarker Elektromotor mit einer Unwucht eingebaut, der genauso funktioniert wie der viel kleinere Vibrator in einem Mobiltelefon. Durch die Rotation der unrunden Masse gerät der ganze Kasten mit den übereinandergestapelten Sieben in Schwingung. Aufgehängt ist er dazu an massiven Stahlträgern in Boden und Decke mittels Bündeln von Pappelholzstäben.
In der durchautomatisierten Stahl-und-Glas-Welt einer modernen Mühle sind die
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