Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
unregulierten Mühlenschenken gemeint gewesen sein.
Die Spezialisierung der modernen Müller ist etwas anderer Art. Umfangreiche Möglichkeiten der chemischen, biologischen und backtechnischen Analyse des Korns bestimmen den Alltag. Für Bauern und kleinere Getreidehändler sind die Analysen selbst zu aufwendig und teuer, weshalb die Laborergebnisse der Mühle den Ausschlag bei der Qualitätsbeurteilung und damit beim Preis geben. Die Einstufung in eine niedrigere Qualitätsklasse oder gar Abweisung der Partie bedeutet für den Bauern oder Getreidehändler signifikant weniger Einnahmen als erwartet. Ihm bleibt zwar theoretisch noch die Option, es bei einer anderen Mühle zu versuchen, in der Praxis fallen jedoch zusätzliche Transportkosten und Zeitverluste an, die den Gewinn weiter schmälern würden.
Hat man sich auf einen Kaufpreis geeinigt, wird der Getreide-Lkw auf eine große Waage gefahren, ein Wunder moderner Meßtechnik. Die Wiegetechnik ist so exakt, daß ein vollbeladenes, dreißig Tonnen schweres Fahrzeug damit auf zehn Kilogramm genau gewogen werden kann. Auch wenn man sich als einzelner Mensch auf die Waage stellt, wird das eigene Körpergewicht mit dieser Genauigkeit angezeigt. Das Getreide wird nach dem Wiegen aus dem Transportfahrzeug per Unterdruck in ein Zwischenlagersilo gesaugt und von dort oder direkt in die ersten Verarbeitungsschritte weitergeleitet. Wenn das Korn zu naß ist, wandert es in eine Trocknungsanlage, wo es mit warmer Luft durchgepustet wird, bis der gewünschte Feuchtegrad für eine Einlagerung erreicht ist. Dann wird es grob vorgesiebt und in das Lagersilo befördert. Große Mühlen haben dafür Dutzende Silokammern, um viele verschiedene Getreidesorten und -qualitäten bevorraten zu können.
Das Rohrlabyrinth
Herzstück einer modernen Mühle ist ein riesiges Labyrinth aus Rohren, in denen Getreide und Mehl permanent per Unterdruck angesaugt, mit Überdruck geblasen oder durch die Schwerkraft fallend bewegt werden. Die gesamte Installation verteilt sich auf sechs bis acht Stockwerke, ein vielstimmiges Rauschen und Vibrieren erfüllt die Luft im nahezu menschenleeren Gebäude. In regelmäßigen Abständen sind durchsichtige Glassegmente in die Rohrleitungen eingefügt, durch die man sehen kann, was zur Zeit befördert wird. Motorbetriebene Umlenkklappen und Ventile erlauben es, das Rohrlabyrinth entsprechend dem gerade erforderlichen Arbeitsgang einzurichten. Man kann sich das vorstellen wie eine gigantische Modelleisenbahnanlage mit Hunderten von Weichen, nur daß statt Zügen der Fluß von Getreide und Mehl gelenkt wird.
Gesteuert wird dieses hochkomplexe Zusammenspiel von einem Computersystem, wie es heute auch in unzähligen anderen großindustriellen Anlagen zu finden ist. Diese Industriecomputer bestehen aus vielen kleinen Prozessoren, von denen jeder nur wenige Arbeitsgänge steuert, etwa die Drehzahl einer Handvoll Elektromotoren oder die Stellung von einigen Umlenkklappen oder Ventilen im Rohrsystem der Mühle. Andere Prozessoren erfassen die Daten aus Sensoren, beispielsweise für den Füllstand der Silos, die Durchflußmenge von Korn durch ein Rohr, die Temperatur eines Mahlwerks, die Feuchtigkeit in einem Behälter oder das Gewicht des Mehls in einem Zwischenlagersilo. Jede dieser Untereinheiten hat nur ein kleines Teilprogramm auszuführen, etwa: »Öffne diese Klappe. Wenn der Sensor anzeigt, daß dreitausend Kilogramm Getreide durchgeflossen sind, schließ die Klappe. Benachrichtige die Zentrale, daß die Klappe geschlossen wurde und dreitausend Kilogramm durchgeflossen sind.« Eine zentrale Steuereinheit verteilt diese Art Aufgaben in kleinen Teilprogrammen an die vielen Prozessoren und Sensoren der Mühle.
Man kann sich das Zusammenspiel dieser vielen kleinen Programme wie Musikinstrumente in einem Orchester vorstellen, bei dem die zentrale Steuereinheit gleichzeitig der Komponist, Arrangeur und Dirigent ist. In der Zentrale lassen sich auf großen Bildschirmen die Aufgaben und der Zustand aller Teile ersehen. Dieses digitale Herzstück der modernen Mühle verwendet die gleiche Technologie, wie sie auch in computergesteuerten Fabriken und Kraftwerken zu finden ist. Die zentrale Überwachungseinheit gibt einen unmittelbaren Einblick in den Zustand der gesamten Anlage: Füllstände, Temperaturen, Durchflußmengen, Klappenstellungen, Drehzahlen, Störungen – alles ist einsehbar und wird in Übersichtsgrafiken angezeigt.
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