Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
selbstfahrende Autos sein werden. Im Prinzip sollten sie durch die Datenfusion weitaus sicherer und vorausschauender als Menschen fahren können: Radar, Nachtsichtkameras und Laserscanner in Kombination mit all den anderen Sensoren übertreffen die Möglichkeiten des Menschen bereits deutlich. Kombiniert mit zusätzlichen Informationen aus GPS-Navigation und hochauflösenden digitalen Straßenkarten, entsteht im Computer ein virtuelles Lagebild über die präzise Position des Fahrzeugs, die Verkehrssituation, den Straßenzustand und etwaige Hindernisse in der Umgebung des Fahrzeugs.
Dies übertrifft bei weitem die typische überblickshafte Situationswahrnehmung eines menschlichen Fahrers. Und die Reaktionszeiten moderner Echtzeit-Computersysteme sind ohnehin viel schneller als die des Menschen. Was bisher fehlte, ist ein lernendes Maschinensystem, das all die Informationen integriert und danach handelt. Die Computer waren bis vor wenigen Jahren schlicht zu langsam und speicherarm, um diesen Aufgaben gewachsen zu sein. Das hat sich nun grundlegend geändert. Wir nähern uns, wie das Uni-Versuchsfahrzeug und Googles Autos anschaulich demonstrieren, rapide dem Punkt, an dem es keine nennenswerten technischen Hürden für autonome Straßenfahrzeuge mehr gibt.
Die Kernfrage bleibt jedoch: Wer ist verantwortlich, wenn ein solches Auto einen Unfall verursacht hat, ohne daß der Fahrer unmittelbar kontrollierend oder überwachend eingegriffen hat? Ist die Software des Herstellers schuld? Trifft den Fahrer mindestens eine Teilschuld, etwa wenn er versäumt hat, auf die aktuelle Version upzudaten, oder wenn er andere Wartungsroutinen vernachlässigt hat? Können vielleicht gar mangelhaft verarbeitete Sensoren oder Programmierer fehlerhafter Routinen verantwortlich gemacht werden?
Die Wiener Straßenverkehrskonvention von 1968, die unter vielen weiteren Ländern auch Deutschland ratifiziert hat, legt fest: »Jeder Führer muß dauernd sein Fahrzeug beherrschen oder seine Tiere führen können.« Grundsätzlich liegt also bisher die Verantwortung für die Herrschaft über das Fahrzeug und die damit einhergehende Haftung für Schäden immer beim Fahrer oder Kutscher. Er muß sich davon überzeugen, daß sein Fahrzeug verkehrstüchtig ist, also nicht durch technisches Versagen zur Gefahrenquelle wird. Der Rest des Risikos, das, was in den Unfallberichten »menschliches Versagen« heißt, wird mit Hilfe der Haftpflichtversicherung gesellschaftlich irgendwie akzeptabel geregelt. Die Logik des Wiener Straßenverkehrsabkommens legt nahe, daß zukünftig automatische Fahrzeuge und Fahrassistenzsysteme wie Pferde betrachtet werden: Der Fahrer ist weiter verantwortlich für sein Fahrzeug – so wie der Kutscher für seine Pferde.
Wir leben in Deutschland mit sechshundert Verkehrstoten auf Autobahnen pro Jahr. Etwa sechzig Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle geschehen allerdings auf Landstraßen, knapp dreißig Prozent innerorts, so daß insgesamt mehr als fünftausend Menschen jedes Jahr im Verkehr sterben. Der Mensch ist eben nicht perfekt, Unfälle passieren, so die gängige Auffassung. Doch ist zu erwarten, daß auch bei selbstfahrenden Autos tödliche Fehler akzeptiert werden?
Was, wenn sich in wenigen Jahren unwiderlegbar herauskristallisiert, daß die Unfallwahrscheinlichkeit autonomer Fahrzeuge weitaus geringer ist als die der von Menschen gesteuerten? Was, wenn sich gerade für die besonders schweren Unfälle, bei denen Lkws auf Stauenden auffahren oder mit Gefahrgut verunglücken, herausstellt, daß die Computer statistisch die besseren Fahrer sind? Würden wir tolerieren, daß Maschinen vielleicht nicht perfekt, aber doch immerhin weitaus besser als Menschen reagieren und daher im Schnitt weniger Unfalltote erzeugen als ein Berufskraftfahrer? Wie lange werden uns nichtperfekte Maschinen noch so unheimlich sein, daß wir lieber mehr menschengemachte Verkehrsopfer in Kauf nehmen als zahlenmäßig weniger maschinenverursachte Tote?
Die Autoproduzenten verfügen über detaillierte Datenbanken aller Unfälle, in die aktuelle Fahrzeuge seit ihrer Herstellung verwickelt sind. Zusätzlich zu den sogenannten Black Boxes, die in vielen Autos installiert sind und in denen die Daten aus allen Autosensoren jeweils zehn Sekunden vor einem Unfall gespeichert sind, haben die meisten großen Hersteller Projekte, um bei Unfällen in einem gewissen Umkreis des Autowerks durch eigene Teams vor Ort das Unfallgeschehen zu rekonstruieren
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