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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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verfielen beide in Schweigen. Wortlos sassen sie sich gegenüber. Hin und wieder seufzte einer, wie um einen Lichtstrahl hereinzulassen und vielleicht einen Hoffnungsschimmer zu entdecken, der die Qualen mildern würde.
    I n jener Nacht hatte Deborah einen Traum, in dem sie die Enkelin der Göttin Isis war, der Mutter der Natur und Quelle der Zeit. Deborah sah sich im pharaonischen Gewand, und auf dem Kopf trug sie eine leuchtende Scheibe, den Vollmond, der den Tempel von Philae anstrahlte. Hatschepsut links neben ihr überreichte ihr eine Lotusblüte.
    Im neunten Monat schwanger, schritt Deborah mit rundem Bauch, begleitet von Isis, der Göttin der Mutterschaft, zum Allerheiligsten. Sie zog sich mit Hatschepsuts Hilfe aus und nahm auf dem Geburtsstuhl Platz.
    Isis berührte mit der Hand ihre Scheide und sagte: »Meine liebe Enkelin, du wirst einen Jungen zur Welt bringen.Er wird Osiris heissen und das Gute auf Erden verbreiten. Nicht ein Quäntchen von der Schlechtigkeit des Seth wird er im Herzen tragen.« Dann führte sie ihre heilige Hand in Deborahs Scheide ein, und der Allerheiligste erstrahlte in göttlichem Licht. Osiris kam zur Welt und dankte mit klarer Stimme der Göttin des Mondes. Allmählich schwand das Licht. Hatschepsut kamen, von Inbrunst und Demut überwältigt, die Tränen.
    Deborah erwachte und strich sich über den Bauch. Sie nahm eine leichte Bewegung wahr, als wollte der Fötus mit der Hand die ihre berühren. Sie weckte Murtada aus dem Tiefschlaf und verkündete ihm die Neuigkeit: »Ich weiss, dass ich von Isis abstamme. Ich bin ursprünglich Ägypterin, meine Ahnen sind aus unbekanntem Grund nach England ausgewandert, und nun kehrt die Familie auf die heimatliche Scholle zurück.«
    Kommentarlos schlief Murtada wieder ein. Er nahm seine Frau nicht ernst und führte ihre Hirngespinste auf die Schwangerschaft zurück. Beim Frühstück aber überraschte ihn Deborah. Sie war immer noch der Ansicht, Ägypterin und mit Hatschepsut verwandt zu sein.
    »Und warum nicht verwandt mit einem ägyptischen Taugenichts?«, fragte Murtada lachend. Die Engländer scheinen auch so ihre Marotten zu haben, dachte er bei sich.
    Richard dagegen, der bis zwei Uhr morgens Hassûnas Wangen, Brauen und Lippen mit Bleistift und Fingern gestaltet hatte und felsenfest davon überzeugt war, dass dieser Mann von den mächtigen Königen Ägyptens abstammte, wunderte sich nicht im Geringsten über Deborahs Äusserung. Und so zweifelte schliesslich Murtada an sich selbst.Vielleicht lag er falsch, die Mehrheit setzt sich ja bekanntlich durch.
    D ie Nubier aus der Region südlich von Assuan, so zum Beispiel auch Hassûnas Frau Fâtima, nennen sich Fadika. Sie leben in den Dörfern Dakka, Koschtmamla, Gota, Kalabscha, Dibut, Ambarkaf, Dihmit, Garf Hussain und Toschka und sprechen Fagika. Jene Nubier aber, die wie Hassûna aus der Stadt Assuan kommen, nennen sich Matukija oder Kunus und sprechen Kenusi. Diese Sprache verwendet Hassûna zu Hause und unter seinen Leuten. Arabisch lernte er erst mit sechs auf der Grundschule. Wer ihm aufmerksam lauschte, konnte heraushören, dass es nicht seine Muttersprache war. Jemand wie Professor Henry Higgins aus My Fair Lady allerdings hätte es auf Anhieb gemerkt. Nichtsdestoweniger beherrschte Hassûna von allen in seiner Familie Arabisch am besten. Sein Bruder Nabri dagegen artikulierte sich eher zaghaft, was in Verbindung mit der leisen, vom Vater geerbten Stimme sein Arabisch schwer verständlich machte.
    Das Nubische, so Hassûnas Annahme, werde im Lauf der nächsten Jahrzehnte aus Assuan verschwinden. Viele nubische Kinder beherrschten heutzutage kein Kenusi mehr. Ihre Eltern redeten arabisch mit ihnen, um den Einstieg in der Schule zu erleichtern und ihnen die Schikanen zu ersparen, die ihnen in ihrer Jugend die Lehrer bereitet hatten.
    Drei Kinder, die höchstens sechs Jahre alt waren, näherten sich dem Boot. In kleinen Holztonnen auf dem Wasser treibend, ruderten sie mit ihren dünnen Armen vorwärts und sahen Richard und Deborah mit bettelndem Blick an. Um zu demonstrieren, dass seine Einschätzungen zutrafen,sprach Hassûna die Kinder auf Nubisch an. Sie antworteten auf Arabisch, nur eines von ihnen beherrschte auch Nubisch. Hassûna erklärte, bloss ein Drittel der Kinder unter sechs Jahren sprächen heute noch Nubisch, in fünfzig Jahren werde es kaum noch jemand können. Bitter und mit leiser Stimme, als richte er die Worte an sich selbst, setzte er hinzu: »Wir müssen sofort

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