Arche Noah | Roman aus Ägypten
mir die Ohren zu, höre ich die Schwingungen seiner Stimme. Was ist los mit mir? Mehr als alles auf der Welt will ich an seiner Seite sein. Ich weiss, dass er sich nichts aus Männern macht, aber wie soll ich meine Leidenschaftbändigen? Er beherrscht mich, beherrscht mein Tun und Handeln, beherrscht mich bis in alle Ewigkeit. Gegen meine Gefühle bin ich machtlos. Wer hat eine Antwort? Wer kann mich von meinem Verlangen erlösen?
A ls Hassûna heimkehrte, sass sein Vater vor der Tür mit zwei der wenigen Verwandten, die noch vor Ort lebten, denn die Familie war in alle Winde zerstreut. Sie tranken Minztee und berieten, wie man am besten in den Sudan käme. Das sei äusserst schwierig, bemerkte Abdalnabi, der Cousin von Hassûnas Mutter. Dort Arbeit zu finden sei ein Ding der Unmöglichkeit, da bereits viele Menschen aus dem Süden Ägyptens, aus Eritrea und dem Tschad ihr Glück in Khartum versuchten. Die Löhne im Sudan seien verlockend wie eine Stripperin, man verdiene drüben inzwischen das Fünffache von dem, was man in Ägypten für die gleiche Arbeit bekäme. Machmûd erzählte von seinem Schwager, der als Dozent an der Universität Kairo tätig war. Während eines Forschungsaufenthalts an der Universität Khartum habe er erfahren, dass ein wissenschaftlicher Assistent an dieser staatlichen Hochschule 750 und ein Dozent sogar 1400 Dollar monatlich erhalte. Er hingegen verdiene selbst nach fünfundzwanzig Jahren Lehrtätigkeit nicht einmal halb so viel wie der Assistent, der erst ein Jahr zuvor seinen Abschluss gemacht hat. Aus diesem Grund sei es äusserst schwierig, dort Arbeit zu finden. »Der Sudan ist zum unerreichbaren Traum geworden.«
Sabri aber liess sich von diesen ernüchternden Worten nicht entmutigen. »Was habe ich mit irgendwelchen Universitätsprofessoren zu tun?«, rief er. »Alles, was ich will,ist eine Anstellung als Koch bei einem Botschafter, einem Konsul oder einem einheimischen Würdenträger. Râdhi hat versprochen, mir so schnell wie möglich Arbeit zu besorgen. Es drängt, Hassûna braucht Geld, um nach Italien zu gehen. Wenn das Old Cataract Hotel nämlich erst geschlossen ist, hat er gar kein Einkommen mehr. Eine Lösung muss her, damit ich auf der Stelle in den Sudan gehen kann.«
H assûna hatte bereits einen Plan entwickelt, wie er nach Italien kommen wollte: Zuerst würde er von Assuan nach Alexandria ziehen. Als Nächstes liesse er im Handelsregister ein Haushalts- oder Lederwarenunternehmen eintragen. Dann beantragte er einen neuen Personalausweis, in dem unübersehbar in Leuchtschrift »Geschäftsmann« steht. Er würde ein Konto auf den Namen der imaginären Firma eröffnen. Einige Freunde hatten versprochen, ihm für zwei, drei Tage Geld zu leihen, bis er anhand des Bankauszugs die Existenz des Firmenkontos nachweisen könnte. Anschliessend würde er sich unter Vorlage des Personalausweises einen Reisepass ausstellen lassen. Und zu guter Letzt ginge er zum italienischen Konsulat in Alexandria und beantragte ein einwöchiges Visum, um Unternehmen zu besuchen, die Haushalts- oder besser noch Lederwaren produzierten, denn er begeistere sich für die Gerberei.
Der Plan war bereits von seinem Freund Harbi erprobt worden, der nun als Koch in einem Restaurant in Genua arbeitete. Dank des Geldes, das er regelmässig heimschickte, führte seine Familie auf der Insel Assuan seither ein einigermassen entspanntes Leben. Eines aber verriet Hassûna dem Vater und den Verwandten nicht: dass Harbi sichdafür nämlich auf ein intimes Abenteuer mit einer fünfzigjährigen italienischen Konsulatsangestellten hatte einlassen müssen. Und offensichtlich waren seine Fähigkeiten auf sexuellem Gebiet so herausragend, dass sie ihm zu einem Visum verholfen hatten. Prostitution allein aber reichte in den meisten Fällen nicht, man musste darüber hinaus auch ein paar Scheine für die Angestellten der europäischen Konsulate lockermachen, damit sie bei der Sache mitspielten. In Harbis Fall beliefen sich die Kosten auf über 20 000 Pfund. Allerdings war auch das kein Erfolgsgarant.
Hassûna liess die drei Männer mit ihrer Diskussion über Auswanderung allein und ging ins Haus, um seiner Frau den Tagesverdienst auszuhändigen. Kaum war er drinnen, stiess sein Vater einen lauten Schrei aus. Erschrocken rannten Hassûna und Fâtima hinaus.
M urtada, Deborah und Richard trafen sich wie immer zum Abendessen im Hotel. Richard wartete, bis sie mit dem zweiten Gang fertig waren, ehe er die Neuigkeit
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