Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
Vom Netzwerk:
etwas unternehmen, sonst ist die nubische Kultur verloren.«
    S ie erreichten die pharaonischen Gräber westlich von Assuan. Hassûna wollte in der Feluke warten, Richard aber bestand darauf, dass er sie begleitete. Schliesslich gab Hassûna dem Drängen nach, er sprang an Land und ging beschwingt voran zum Ticketschalter. Erschrocken sah Murtada hoch. Was war das? Ein Berg mit unzähligen Stufen, die in den Himmel zu führen schienen. Wie sollte seine schwangere Frau da hinaufkommen? Deborah beruhigte ihn, sie stehe unter Isis’ Schutz, folglich könne ihr nichts Schlimmes passieren. Und ihr Sohn stehe unter dem Schutz des Fruchtbarkeits- und Totengottes Osiris. Doch als Deborah obendrein verlauten liess, auf einem Kamel zum Grabmal des Aga Khan in der Wüste hinter dem Berg reiten zu wollen, wurde Murtada ungehalten: »Isis und Osiris können mir gestohlen bleiben. Bist du nicht mehr bei Trost? Wir werden noch unser Kind verlieren!«
    Als sie den Berg bestiegen, ging Murtada stets einen Schritt hinter Deborah, zur Sicherheit. Auf halber Strecke bat er um eine kurze Pause.
    Endlich hatten sie die Felsengräber erreicht. Hassûna, offenbar ein Experte auf dem Gebiet, erklärte, dass hier dieNubier begraben seien, die einst die Insel Assuan regiert hatten, den Ursprung der heutigen Stadt. Der Name Assuan gehe auf die nubische Bezeichnung assi wang zurück und bedeute »sichtbares Wasser«. Jetzt aber nenne man die Insel in englischer Manier Elephantine – in Anlehnung an die Felsvorsprünge, die wie ein Elefantenkopf aussähen. Der ägyptische Staat habe beschlossen, an die koloniale Tradition anzuknüpfen und das nubische Erbe zu verdrängen. »Die meisten Namen in unserem Land haben einen nubischen Ursprung«, fuhr Hassûna fort. » Misr, Ägypten, zum Beispiel stammt von dem nubischen Wort massi und heisst ›schön‹. Misr ist also das Land der Schönheit und der Pracht. Viele wissen gar nicht, woher der Name kommt und seit wann es ihn gibt. Wie immer wird die nubische Sprache und Kultur übersehen, die einen wesentlichen Teil der altägyptischen Zivilisation ausmachte. Auch der Name Luxor ist nubisch. Uksur ausgesprochen, bedeutet er ›Halskette‹, was sich auf die geographische Lage der Stadt bezieht. Die Behauptung, der Name stamme vom arabischen Wort kasr, Palast, entbehrt jeder historischen Grundlage. Sie dient einzig und allein dazu, die nubische Kultur zu ignorieren und zu missachten. Im Allgemeinen geht man hier mit der Geschichte so um, als hätten wir Nubier nie existiert.«
    Nachdem sie einige Gräber besichtigt hatten, kamen sie schliesslich zu jenem von Sarenput II., dem Regenten der Insel Assuan in der zwölften Dynastie während der Amtszeit des Pharaos Amenemhet II. Die erste Halle hatte keine Wandmalereien, aber war in wunderbarem Fels eingelassen. Sie durchschritten einen weiss gestrichenen Korridor, der links von Statuen flankiert war und zu einer weiteren Hallemit verzierten Säulen führte. Auf der linken Seite standen Körbe voller Knochen, im Hintergrund befand sich eine Nische mit einem Wandbild. Die Farben waren so intensiv, dass man hätte meinen können, der Maler habe das Werk erst am Tag zuvor vollendet. Überwältigt betrachtete Richard das Bild, bis er abrupt von einem Wärter aus seinen Gedanken gerissen wurde. Dieser zeigte auf eine Öffnung in der Wand, die mit Stacheldraht versperrt war. Dahinter liege ein Gang, der sich Hunderte Kilometer durch den Berg bis zu den Gräbern westlich von Luxor schlängele und von der UNESCO geschlossen worden sei. Mit blecherner Stimme erklärte er: »Alle, die da hineingingen, sind spurlos verschwunden, verfolgt vom ewigen Fluch!«
    I ch befinde mich in diesem Gang, ich habe meine Seele verloren, bin ausgeliefert, belegt mit dem nubischen Fluch. Ohne mit der Wimper zu zucken, bin ich bereit, mein Leben für diesen Mann aufzugeben. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich mit achtundvierzig noch einmal derart verlieben würde. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass die Zeit der Leidenschaft nun endgültig hinter mir lag, dass für mich die Epoche der Vernunft begonnen hatte und sich das Herz in meiner Brust nie mehr regen würde. Doch nun hat sich mein Verstand davongemacht. Dabei haben wir nicht das Geringste gemein, wir stammen aus völlig verschiedenen Welten, leben unter getrennten Himmeln. Trotzdem hat es mich in seinen Gang gezogen, und ich sehe nur noch ihn. Schliesse ich die Augen, erscheint mir sein Gesicht. Halte ich

Weitere Kostenlose Bücher