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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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ein Bienenstock. Junge Leute gingen ein und aus, viele von ihnen Rechtsanwälte. Zwei sind mir besonders an Herz gewachsen: Huwaida Saad und Achmad Iseddîn. Durch die jungen Leute lernte ich, die Welt mit neuen Augen zu sehen.
    Vorgestern kehrten wir als Gruppe in ein Café in der Nähe der Scharîfstrasse ein. Achmad Iseddîn, der neben mir sass, schüttete mir sein Herz aus. Er erzählte mir von seiner grossen, unsterblichen Liebe Hâgar. Im Gespräch stellte ich verblüfft fest, dass es sich bei ihr um die Exfrau meines alten Nachbarn Aiman Subhi handelte.
    »Bist du mit der Arbeit im Zentrum denn nicht zufrieden?«, fragte ich ihn. »Immerhin verhilfst du vielen Frauen zu besseren Lebensbedingungen.«
    »Doch, mit der Arbeit bin ich sehr zufrieden.«
    »Aber wenn du doch so zufrieden bist, wie man dir an deinem schönen Lächeln deutlich ansieht, warum willst dudann auswandern? Ich habe gehört, dass du nach Amerika gehst.«
    »Ja, ich gehe zu Hâgar. Wir werden dort heiraten.«
    »Siehst du denn nicht, dass du hier im eigenen Land gewissermassen die Saat ausbringst, in Amerika dagegen immer der Fremde bleiben wirst?«
    »Ich sehe hier keine Zukunft. Dort werden die Kinder, die ich in die Welt setze, wenigstens eine Chance auf Bildung und ein gutes Leben haben. Was ich hier verdiene, deckt, wie du ja selbst weisst, nicht einmal die Grundkosten. Sag deiner Freundin, dass sie uns vernünftige Gehälter zahlen soll.«
    »Hast du ein finanzielles Problem?«
    »Ist das etwa eine Schande? Jawohl, mein Problem ist in erster Linie materieller Art. Aber es geht nicht nur ums Geld, in diesem Land mangelt es an jeglicher materiellen Grundlage.«
    D ass ich heute überlebe, verdanke ich meinem Vater. Er hat mich gelehrt, die Augen vor allem zu verschliessen, was nicht unbedingt zum Leben notwendig ist. Nach der Scheidung wollte ich von meinem Mann keinen Piaster annehmen. Wir hatten es miteinander versucht und waren gescheitert. Ich sah also keinen Anlass, Unterhalt von ihm zu beziehen, auch wenn er so fair war, mir welchen anzubieten. »Fünfzehn Jahre Ehe«, sagte er, »du bist Teil meines Lebens, und ich muss mich um dich kümmern.« Sein Angebot war grosszügig, schliesslich war mir bekannt, dass Scheidungen oft in zermürbende Schlachten ausarten, reif für Filme wie den Rosenkrieg. Mit Klavierunterricht undeinem bescheidenen Gehalt vom Zentrum komme ich über die Runden, aber nur weil ich mich dem Konsumterror widersetze. Nach wie vor weigere ich mich, ein Handy zu kaufen. Der Anrufbeantworter, den meine Mutter vor zehn Jahren angeschafft hat, leistet gute Dienste. Wer eine Nachricht hinterlassen möchte, kann dies auf seine Kosten tun. Ich verschliesse mich jeglicher Werbung, die mit unverhohlen sexuellen Reizen das hungrige Monster anfüttert, das in jedem von uns steckt. Ich besitze kein Auto, kein Flugzeug, kein Motorrad, nicht einmal ein Fahrrad. Mein Vehikel sind meine Füsse, das sicherste Verkehrsmittel überhaupt. Der Schuster nebenan flickt so gewissenhaft, dass ich meine Schuhe immer in besserem Zustand zurückbekomme, als ich sie abgegeben habe. Ich habe mir eines zur Gewohnheit gemacht: Jeden Morgen und jeden Abend spiele ich das Lied Schnall enger den Gürtel, nur das hilft.
    Den Gürtel enger zu schnallen ist laut Âdil, einem Freund und erfolgreichen Geschäftsmann, die einzige Lösung. Nur so könnten wir unserem Ägypten zum Aufschwung verhelfen. Insofern bemühe er sich in seiner Firma nicht nur um die Steigerung der Verkaufszahlen, sondern vor allem um die Senkung der Ausgaben. Leider bewege sich das Land aber in die entgegengesetzte Richtung. Es habe den Gürtel bis auf das letzte Loch gelockert und sei vor lauter Fettleibigkeit in völlige Lethargie verfallen. Was mich betrifft, so habe ich, seit ich Scheich Sajjids 67 Rat befolge, entdeckt, dass ich über den wertvollsten Schatz verfüge, den ein Mensch haben kann: die Freiheit. Ein wenig Salat und Gurke, eine Dose Lachs, dazu viel Bach und Brahms, und alles ist in bester Ordnung.
    W as ich von Achmad Iseddîn und seinen Altersgenossen im Zentrum höre, erschüttert mich. Täglich aufs Neue wird mir bewusst, dass wir aus zwei unterschiedlichen Welten stammen. In Berührung mit dieser neuen Welt kam ich erstmals durch die Geburt meiner Tochter 1993.
    Als Nâdia mit fünf eingeschult wurde, begann eine neue Etappe meines Lebens. Ich tauchte in ihren Alltag ein und erfuhr dabei Erstaunliches, lernte eine neue Welt kennen und hatte das Gefühl,

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