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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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Feldern. Und alle waren auf der Suche nach einer Frau. Griechin und gläubige Christin sollte sie sein. Die Heiratswilligen in Amerika würden für die Kosten der Reise über den Atlantik aufkommen, verkündete Boris. Am Ende nahm er mit beeindruckend theatralischer Geste einen Stoss Papier aus der Tasche und rief: »Das hier sind die Vollmachten, die mich im Namen der Unterzeichneten und des Gesetzes befugen, die Ehe für rechtsgültig zu erklären, bevor eure Töchter die Insel verlassen.«
    Die Männer zogen sich zur Beratung zurück. Boris versprach, in einer Woche wiederzukommen, und verschwand.
    In regnerischer Nacht versammelten sich die Dorfbewohner samt Priester Dorian vor der Kirche. Nach langer Diskussion kamen sie überein, das Angebot anzunehmen. Sie sahen keine andere Möglichkeit, ihre Töchter unter die Haube zu bringen. Allerdings sollte, so ihre Bedingung, ein Vater mitfahren. Die Wahl fiel auf Vasilikias Vater.
    Kurz vor der Abreise hatte Vasilikia das drängende Gefühl, dass Erix ihr auf einem leuchtenden, von Poseidon speziell für ihn gebauten Boot erscheinen würde. Immerzusah sie sich um. Als aber kein Licht im Dunkel aufschimmerte, schaute sie ein letztes Mal zum Himmel auf. Dann bestieg sie das Schiff.
    An Bord waren Hunderte von jungen Mädchen auf dem Weg ins Ungewisse. Mitten auf dem Atlantik merkte Vasilikia plötzlich, dass ihr Vater fort war. Er sei bei einem Sturm in den Ozean gefallen, sagte man ihr. Sein weiteres Schicksal blieb ungeklärt.
    Und nun sollte Hâgar sich – wie Vasilikia vor ihr – auf die Reise ins Ungewisse begeben, obgleich der Dritte Weltkrieg bisher nicht ausgebrochen war.
    So wie Boris’ Angebot einhellig angenommen wurde, kamen Hâgars Vater und Aiman überein, dass dieser eine vom ägyptischen Konsulat beglaubigte Vollmacht schickt, so dass binnen eines Monats die Ehe in Kairo geschlossen würde. Anschliessend würde die Braut im Hochzeitskleid den Flug zu dem rauschenden Fest antreten, das ihr Ehemann in den Vereinigten Staaten ausrichten werde.
    D ie Mutter von diesem Aiman scheint nicht alle Tassen im Schrank zu haben. Seit ihr Sohn abgereist ist, ruft sie mich fünfmal am Tag an. Sie hat wohl Angst, dass ich samt Brautgeld und Schmuck abhaue. Und wenn sie nicht so schwer wäre wie eine Tonne, dann würde sie hier bestimmt alle naselang auf der Matte stehen. Sie textet mich mit irgendwelchem Kleinkram zu. Am liebsten würde ich ihr sagen: Lass gut sein, Kleinkram interessiert Tote nicht. Tote interessiert – nachdem sie elend erstickt sind – nur, ob der Wind aus Meeresrichtung über den Friedhof weht.
    Gestern wollte sie zwischen zwei Anrufen meine Mutter sprechen. Kaum aufgelegt, brach Mutter einen heftigen Streit mit mirvom Zaun. Ein richtiges Donnerwetter hat sie losgelassen. Was ich mir erlaube? Natürlich würde ich das Hochzeitskleid auf der Reise tragen! Dass ich das Kleid über dem Arm mitnehme und erst bei meiner Ankunft drüben anziehe, komme überhaupt nicht in Frage!
    Wie sollte ich dieses schwere, aufgebauschte Kleid fünfzehn Stunden am Stück tragen? Die reinste Quälerei! Meine Mutter aber bestand darauf, dass ich das Haus im Hochzeitskleid verlasse, damit mich ja alle Leute im Viertel sehen. Sie hängte Lichterketten an die Fassade und veranstaltete auf der Strasse ein Riesentrara. »Wenn du nämlich mit dickem Bauch hier antanzt, müssen die Leute vorher mitbekommen haben, dass du geheiratet hast.«
    Sie meinte es gut. Den ganzen Rummel hat sie nur veranstaltet, damit wir wiederkämen.
    A m 4. März 2005 um zwanzig Uhr rief Hâgar Achmad an. Seine Stimme am Ohr, schöpfte sie Atem, speicherte den Sauerstoff im linken Lungenflügel und legte den Hörer wieder auf.
    Am Morgen des 5. März verliess die Braut um 7 Uhr 15 das Haus im Viertel Hadâik al-Kubba, im Gepäck das Besteckset, vom Vater für sie in Port Saîd gekauft, als sie zwei Jahre alt war, und die Dessertschälchen, die ihr die Mutter in einem staatlichen Einkaufszentrum, dessen Name ihr inzwischen entfallen war, gekauft hatte, als sie fünf Jahre alt war. Das Porzellanservice, das seit knapp zwei Jahrzehnten auf diesen historischen Augenblick wartete, musste allerdings zurückbleiben.
    Die Schleppe in der Hand, um nicht vornüberzufallen, stieg Hâgar langsam die Treppe hinab. Das weisse Kleidmit Pailletten am Rücken war unter dem Aspekt der Bequemlichkeit gekauft worden. Mit Rücksicht darauf, dass die Braut es viele Stunden am Stück würde tragen müssen und

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