Arche Noah | Roman aus Ägypten

Bewegungsfreiheit vonnöten war, hatte man auf ein Modell mit Spiralfederstäben verzichtet und stattdessen eines mit kurzem Unterrock gewählt.
    Doktor Mustafa begleitete seine Tochter nicht die Treppe hinunter, er fuhr auch nicht mit zum Flughafen. Er war wütend auf sie, denn Hâgar wollte vor ihrer Abreise partout kein Fest feiern.
    »Meine Tochter hat geheiratet, und ich soll nicht einmal eine kleine Feier im Familienkreis ausrichten dürfen, du Miststück?«
    Hâgar aber beharrte auf ihrem Standpunkt. Verständnislos wandte ihr Vater sich ab, sagte ihr vorher aber noch, dass er jegliches Interesse an ihr verloren habe und sie nicht mehr seine Tochter sei, er sie nicht einmal mehr kenne.
    Vor der Haustür wartete ein Hyundai Accent, geschmückt mit bunten Bändern. Am Steuer sass ihr Cousin Islâm. Ein Jubeltriller ertönte, gefolgt von weiteren, noch schrilleren. Chadîga, die Nachbarin aus dem ersten Stock, zog den Vorhang auf, kniff, vom Morgenlicht geblendet, obwohl es noch recht dämmerig war, die Augen zu und stiess einen Jubeltriller aus. »Und vergiss nicht, Hâgar, mein liebes Kind«, rief sie, so laut sie konnte, »meinem Sohn Magdî eine Einladung zu schicken.«
    Hâgar schaute, während sie in den Wagen stieg, zu der Nachbarin hoch, die sie noch nie hatte leiden können, und ein seltsames Gefühl der Sympathie ergriff sie. Es war das letzte Gesicht, das sie im Viertel sah, bevor sie abfuhr.
    Die Maschine der EgyptAir in Richtung John-F.-Kennedy-Flughafen startete planmässig um 10 Uhr 10 und sollte in New York um 15 Uhr 15 amerikanischer Ostküstenzeit landen.
    Hâgar flog zum ersten Mal. Trotzdem kam es ihr nicht fremd vor. Schon oft war sie in ihrer Phantasie durch die Luft oder zu Wasser gereist. Unzählige Male hatte sie sich vorgestellt, wie sie, im Flugzeug neben Achmad sitzend, nach Schweden auswanderte. Warum sie sich ausgerechnet Schweden erwählt hatte, wusste sie nicht. Wahrscheinlich, weil die Menschen dort, wie sie gehört hatte, aus Überdruss am Wohlstand Selbstmord begingen und weil sie das karge Leben satt war. Was sie allerdings überraschte, war die Tatsache, dass es auch männliche Flugbegleiter gab. In allen Filmen – denen, die sie gesehen hatte, und jenen, die nur in ihrem Kopf gelaufen waren – übten diesen Beruf ausschliesslich Frauen aus, und zwar echte Schönheitsköniginnen, ausnehmend grazile und elegante Damen. Die paar Stewardessen, die sich ihr jetzt aber in Wirklichkeit boten, waren alles andere als grazil und elegant.
    Hâgar bekam einen bequemen Sitz am Fenster in der Businessclass. Ihr Ehemann hatte nämlich seine Beziehungen aus den Zeiten, in denen er Kameras ins Land geschmuggelt hatte, spielen lassen und für sie ein Upgrade erwirkt.
    Beim Abheben bekam sie Druck auf den Ohren. Von einem leichten Schwindel erfasst, fragte sie sich, ob dies ein Anzeichen von Angst war … oder eher von Todessehnsucht. Sie wusste keine eindeutige Antwort darauf. Ihr war seltsamzumute. Sie überlegte, wie sie sich ablenken könnte. Da fiel ihr die E-Mail ein, die Sainab ausgedruckt und ihr überreicht hatte mit der Bitte, sie erst dann zu lesen, wenn das Flugzeug gestartet sei. Hâgar holte das Papier aus der Tasche und las:
    Zis is your cabten Haridi welcoming bassengers on board of EgybtAi.
    Wir bitten die Verspätung zu entschuldigen. Glücklicherweise aber hat sich der Abflug um nur eine Woche verzögert. Der Grund hierfür sind die schlechten Wetterverhältnisse.
    Zis is flight 717 to J. F. Kennedy Airbort.
    Ob wir dort auch tatsächlich ankommen, ist ungewiss. Aber irgendwo auf der Weltkugel werden wir schon landen.
    EgybtAi has an excellent safety-record.
    Wir sind stolz, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir im letzten Jahr einen neuen Rekord aufgestellt haben. Mindestens dreissig Prozent unserer Passagiere haben ihr Flugziel wohlbehalten erreicht.
    We regret to inform you, zat today’s in-flight movie will not be shown as we forgot to record it from z television.
    Die Herrschaften, die an Bord links sitzen, können gern den Film der somalischen Maschine verfolgen, die uns auf unserem Flug begleitet.
    Sanking you vry much for choosing EgybtAi to fly for z first and last time.
    Ich habe vergessen, darauf hinzuweisen, dass die Passagiere, die an ihrem Sitz keinen Gurt vorfinden, angehaltensind, sich mit ihrem persönlichen Gürtel anzuschnallen.
    I wish you a nice trib.
    Cabten Haridi
    Obwohl sie mit Schwindelgefühl und Schmerzen im Ohr zu kämpfen hatte, lachte