Arche Noah | Roman aus Ägypten
Herzen gewünscht, dass wenigstens Deborah diesen Schritt tut. Von Freude beseelt, dass dieser Traum nun in Erfüllung ging, schwang er sich aufs Fahrrad und brachte allen Bekannten und Freunden die Einladung persönlich vorbei.
Deborah lebte mit ihren Eltern in der Acacia Avenue 62 in einem jener typischen zweistöckigen Reihenhäuser mit einem kleinen Vorgarten und einem grossen Garten hinterdem Gebäude. 1892 erbaut, hatten es im Laufe seiner langen Geschichte mehrere Generationen der Familie nicht nur mit Leben erfüllt: nach und nach hatten sich auch jede Menge Tische, Aschenbecher, Sessel, Teppiche und Bilder angesammelt.
D ass ich, nunmehr in den Wechseljahren, tatsächlich noch heiraten sollte, hätte ich nie für möglich gehalten. Seit über zwanzig Jahren haben sich alle – meine Familie, meine Freunde, meine Kollegen und ich selbst natürlich – bemüht, einen passenden Partner für mich zu finden. Aber Aphrodite war mir nicht hold. Und nun klappt es doch noch, das ist wundervoll! Nicht zu glauben, was ich mir in düsteren Nächten so alles geschworen habe. Dass ich den Erstbesten zum Mann nehmen würde, der an die Tür klopft. Dass ich jede Bedingung akzeptieren würde. Wie besessen war ich von dem Wunsch zu heiraten, dass ich mehr und mehr meine Selbstachtung verlor. Die Männer in meinem Freundeskreis zogen über meinen Körperumfang her. Zudem duftete ich so übertrieben nach Seife, spotteten sie, dass man auch gleich eine Waschmaschine vögeln könnte. Und ich – ich lachte darüber auch noch wie ein Trottel! Als ich mit über vierzig die Hoffnung völlig aufgegeben hatte, tauchte plötzlich Murtada in meinem Leben auf. Der reinste Balsam für meine Wunden. Dass mich Gott für all das Warten mit solch einem wunderbaren Geschenk belohnen würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Murtada ist der vollkommene Mann, im wahrsten Sinne des Wortes. Wie durch ein Wunder verliebte ich mich auf den ersten Blick. Kaum hatte er einen Fuss in die Bibliothek gesetzt, war es um mich geschehen. Dabei sieht er nicht gerade gut aus, und er ist fünfzehn Jahre älter als ich. Nachdem er mich bisher mit bewundernswerter Standhaftigkeit nicht einmalan seine Nasenspitze herangelassen hat, werde ich in der Hochzeitsnacht über ihn herfallen. Ich werde ihn mit Haut und Haaren verschlingen.
U m im Erdgeschoss einen Festsaal herzurichten, schaffte die Familie am Tag der Hochzeit diverse Möbelstücke in den ersten Stock. Von zehn Uhr am Vormittag bis sechs Uhr abends dauerte die Aktion. Um Viertel vor sieben fanden sie sich, allesamt abgekämpft, zu einer kurzen Verschnaufpause ein.
Der Vater erschien in einem schwarzen Anzug, den er auf sämtlichen Beerdigungen und zu den Konzerten in der Kirche nebenan trug. Die Mutter, um einige Pfunde leichter, seit sie in den Ruhestand getreten war, zeigte sich im eigenen Hochzeitskleid, das ihr nach über vierzig Jahren nun erstmals wieder passte, und betrachtete dies als gutes Omen für die Ehe der Tochter.
Das Hochzeitspaar nahm auf einem wuchtigen Zweisitzer Platz, dem sogenannten love seat. Um dem Fest einen folkloristischen Anstrich zu geben, trug Murtada eine edle weisse Gallabija, die er auf seiner Pilgerreise in Mekka gekauft hatte, und Krokodilledersandalen aus Khartum. Deborah erschien in einem bezaubernden, orange geblümten, die üppigen Brüste betonenden Kleid. Ihr Gesicht war gerötet vom Brandy, den sie sich gegen die Aufregung im Laufe des Tages hin und wieder genehmigt hatte. Ausserstande, dieser lang ersehnten Nacht gelassen entgegenzugehen, hatten ihre Knie bereits am Morgen gezittert.
Murtada hatte im Vorfeld mit dem Gedanken gespielt, seine Angehörigen einzuladen. Da man aber für dasVisum erhebliche Mühen, ja Schikanen hätte in Kauf nehmen müssen, entschied er schliesslich, doch lieber im folgenden Sommer ein Hochzeitsfest in seinem Dorf zu geben.
Ab neunzehn Uhr trafen die Gäste ein. Als Erster kam Doktor Ikram Radsch, Ökonomieprofessor aus Indien. Ihn hatte Murtada kurz nach seiner Ankunft in London kennen- und schätzen gelernt. Ikram, in den Sechzigern, mittelgross, mager, dunkelhäutig und hochintelligent, gab sich gern zynisch, was sich auch in seiner Unterlippe manifestierte, die gewisse Ähnlichkeiten mit jener der Schauspielerin Malak al-Jamal 20 aufwies.
Ikram Radsch hatte Murtada seit langem zu diesem entscheidenden Schritt ermutigt. Überschwänglich wurde er von allen begrüsst. Im weissen Anzug und im weissen, an der Brust
Weitere Kostenlose Bücher