Arche Noah | Roman aus Ägypten
einem anderen Planeten. Alle freuten sich von Herzen für Deborah, die in einem fort gluckste und lachte und dank des Brandys völlig entspannt war.
Murtada war glücklich über die fröhliche, ausgelassene Stimmung. Dennoch fehlte ihm etwas: wenigstens ein arabisches Wort hätte er gern gehört. Er schloss die Augen und rief sich das Lied Bahîjas Augen in Erinnerung, gesungen von Suâd und nicht von Muhammad al-Asabi 21 .
M urtada schaute Suâd an. Das Mikrofon in der Hand, sang sie melancholisch Bahîjas Lied. Ergriffen von ihrer schönen Stimme, schmolz er dahin, versank im Braun ihrer Augen und erkannte, dass »Arzt und Medizin dagegen machtlos waren«. Sein Herz pochte so heftig, dass es Musik und Text übertönte, er verstand kein Wort. »Ich liebe dich« war alles, was noch zu ihm vordrang. Der Festsaal im Gebäude der Luftwaffe war brechend voll. Rechts die Gäste aus Itâi al-Barûd, links die aus Damiette. In der Mitte standen Murtada und Suâd, um sie herum Familie und Freunde. Suâd gab den Ton an, alle anderen klatschten dazu und erwiderten im Chor: »Meide die Blicke, Mädchen.« Immer wenn eine Strophezu Ende war, schaute Murtada verstohlen zum Tisch neben dem Verlobungsthron hinüber und versuchte zu erkennen, ob ihre Väter über den Hochzeitstermin sprachen. Er hatte seinen Vater nämlich beauftragt, einen Zeitpunkt auszuhandeln, allerdings einen innerhalb der nächsten sechs Monate. Suâd reichte Murtada das Mikrofon und forderte ihn auf, ein Lied für sie zu singen. Murtada wehrte heftig ab. Er habe Ohren aus Hartplastik, rief er, und singe daher nicht einmal im Bad. Suâd aber bestand darauf, die Gäste feuerten ihn an, also blieb ihm nichts anderes übrig. »Entbrannt in Liebe zu dir, will ich …«, begann er, worauf ihm Suâd das Mikrofon entriss, um Ohnmachtsanfälle im Publikum zu verhindern, denn drei Gästen waren, wie sie bemerkte, schon bei den ersten Worten die Sinne geschwunden. Suâd übernahm. »Die Liebe ist das Schönste, was mir geschah, als der Zufall dich mir schickte«, stimmte sie an, umringt von ihren Cousinen, die im Chor den Refrain »Freude und Glück tragen mich fort« schmetterten.
»Herrlich!«, rief ein Gast. »Mamûn al-Schinnâwi 22 ist übrigens ein Verwandter von mir.«
W ie wir alle wissen, liegt zwischen Leben und Tod manchmal nur ein einziger Augenblick. Doch wir rechnen nicht damit, dass dieser schreckliche Moment so unverhofft kommen könnte. Nur wenige Tage nach der Verlobung wurde meine Existenz auf den Kopf gestellt – aus Leben wurde Tod.
Der Abend, an dem wir unsere Verlobung feierten, war der glücklichste meines Lebens. Wie ein Traum verging er, im Nu warer vorbei. Meine liebste Suâd verschwand urplötzlich … Doch ich bewahrte sie in meinem Herzen. Tag für Tag atme ich im Gebet ihren herrlichen Duft.
Das Fest fand am 1. Januar 2000 statt. Suâd und ich hatten diesen Tag bestimmt, um mit unserer Liebesbeziehung eine neue Ära einzuläuten, die das blutigste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte für immer verabschieden würde, ein Jahrhundert mit über 250 Kriegen, die 110 Millionen Menschenleben gefordert hatten. Ein Jahrhundert, das nicht ausklingen wollte, ohne im letzten Jahrzehnt noch über zwei Millionen Kinder zu töten, über sechs Millionen Kinder zu verstümmeln und zwanzig Millionen Kinder ihrer Heimat zu berauben. Wir wollten unsere Geschichte nicht an solch ein grausames Jahrhundert knüpfen. Ein Jahrhundert, in das die Dichter und Schriftsteller ihre ganze Hoffnung gelegt, von dem sie sich den Triumph der menschlichen Vernunft erwartet und das sie zur Ära der Rationalität erklärt hatten.
Ich war nicht mehr der Jüngste. Trotzdem hatte ich nie ans Heiraten gedacht, bis ich Suâd kennenlernte. Ich hatte mir eingeredet, mit der Wissenschaft verheiratet zu sein, und geglaubt, dass das Lehrerdasein keine Partnerschaft verträgt. Aus welchem anderen Grund hätte die Geschichte der Wissensvermittlung in Europa sonst so eng mit Nonnen und Mönchen verbunden sein sollen? Warum wären Lehrerinnen früher sonst ledig geblieben? Doch meine Theorie zerbröckelte, zerstob, verpuffte im Angesicht der Sonne Suâdscher Wahrheit, im Angesicht ihrer überwältigenden Präsenz.
Ich hatte sie auf einer Exkursion kennengelernt, organisiert vom Verein für den Erhalt des koptischen Kulturerbes. In den Gouvernements al-Minja und Assiut unterwegs, besuchten wir innerhalb von fünf Tagen fünf Städte und fünf Klöster. Auf
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