Arche Noah | Roman aus Ägypten
ausgedehntenWandertouren über Berg und Tal entdeckte ich meine Liebe zu Suâd und erkannte, dass sie ewig währen würde.
In al-Kusîja bemerkte ich sonderbare Anwandlungen an mir, ich benahm mich wie ein Student auf seinem ersten Uniausflug. Da musste ich mir eingestehen, dass ich mich unsterblich verliebt hatte. Im al-Muharrak 23 -Kloster erklärte uns ein Mönch gerade, woher es seinen Namen hatte. In der näheren Umgebung sei das Schilfvorkommen sehr hoch und diese Pflanze entzünde sich bei grosser Hitze und Trockenheit leicht. Bei dem Wort muharrak schaute ich Suâd in die Augen. Auf der Stelle fing mein Herz Feuer. Nachdem es restlos verglüht war, offenbarte ich ihr meine Gefühle.
J ede Geschichte fängt einmal an. Dann nämlich, wenn der Stift auf das Papier trifft und zu einem neuen Lebenskapitel ansetzt. Die Geschichte von Doktor Murtadas Emigration begann in der Nacht, als er, frisch mit Suâd Schahîn verlobt, das Fest verliess. Vornehm gekleidet, in einem dunkelblauen Anzug aus indischer Seide, einem italienischen Hemd, das ihn ein ganzes Monatsgehalt gekostet hatte, und mit französischer Krawatte um den Hals, schritt er aus dem Gebäude der Luftwaffe. Arm in Arm mit Suâd, einem Engel im Kleid, der Eleganz in Person. Umringt von Familie und Freunden, trat das Paar aus der Tür. Murtada küsste Suâd zum Abschied die Hand. Sie stieg mit ihrem Vater ins Auto und entschwand seinen Blicken.
Doktor Suâd Schahîn lehrte Zeitgeschichte an der Universität Tanta. Sie hatte in Aix-en-Provence promoviert und lebte, seit sie zurück war, mit ihrem Vater in Banhâ. Hagg Schahîn, ein Möbelhändler, stammte aus einer DamiettinerFamilie, die seit Jahrhunderten in dieser Branche tätig war. Gott hatte ihm als einziges Kind Suâd geschenkt. Obwohl er, um das zu ändern, eine zweite und eine dritte Frau geheiratet hatte, war es dabei geblieben. Schliesslich hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden und sich von beiden wieder scheiden lassen. Dann war er aufgrund steigender Konkurrenz und rückläufiger Einnahmen von Damiette nach Banhâ gezogen. Dort hatte er ein grosses Möbelgeschäft eröffnet und sich mit seiner Familie im Ostteil der Stadt angesiedelt, nahe dem antiken Athribis. Suâd liebte den altägyptischen Ursprung des Namens Banhâ: bâ in naht, »Stadt der Maulbeerfeige«. Hagg Schahîn galt als geiziger Mann. Ging es aber um Suâd, dann zog er andere Seiten auf. Ihr erfüllte er jeden Wunsch. Für sie hätte er sogar seine Seele auf einem Silbertablett serviert. So zeigte er sich bei ihrer Verlobung, allen Erwartungen entgegen, nicht kleinlich, im Gegenteil. Er liess vier Rinder schlachten und das Fleisch unter die Armen verteilen. Ausserdem kam er für die gesamten Kosten des Festes auf.
I ch hätte nie damit gerechnet, dass ich den hiesigen Zuständen im Bildungsbereich als Erster zum Opfer fallen würde, der Sache, für die ich mich mein Leben lang eingesetzt hatte. Mir war zwar durchaus bewusst, welcher Abgrund vor den ägyptischen Hochschulen klaffte, doch ich versuchte mich damit zu arrangieren, ich hatte ja keine Wahl. Dass es aber so weit kommen und Suâd infolge der Missstände abgestochen würde, hätte ich mir in meinem schlimmsten Albtraum nicht ausmalen können.
Es war Ramadan. Ich sass allein zu Hause und wartete auf den Kanonenschuss, um endlich essen zu können. Traurig darüber, dass ich diesen feierlichen Akt ohne Gesellschaft begehen musste,fragte ich mich, wo all die Verwandten und Freunde waren, die mich noch zwei Tage zuvor auf meinem Verlobungsfest mit ihrer Anwesenheit erfreut hatten. Um die verbleibende Zeit bis Sonnenuntergang zu überbrücken, griff ich nach der al-Ahrâm. Diese Zeitung las ich, seit sie zum banalen Anzeigenblatt verkommen war, nur noch selten. Jedenfalls stand auf der Titelseite, was der US-amerikanische Präsident Bill Clinton in seiner letzten wöchentlichen Rundfunkansprache hatte verlauten lassen: Die Vereinigten Staaten seien fest entschlossen, die Welt auch im einundzwanzigsten Jahrhundert zu führen. Das zwanzigste Jahrhundert, von einigen auch als das »amerikanische Jahrhundert« bezeichnet, wirke noch lange fort. Bills Worte bestärkten meine Ansichten: Verfluchte Bande, dachte ich. In dem Moment läutete das Telefon.
»Murtada, du musst sofort herkommen«, sagte der Anrufer mit Grabesstimme. »Ein Student hat meiner Tochter auf dem Heimweg ein Taschenmesser in den Bauch gerammt. Sie liegt jetzt hier in Banhâ im Krankenhaus.«
»Wie
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